„Wir müssen dringend umdenken – und zwar jetzt!“
Auch eine Auswirkung des Ukraine-Krieges: Böden, die eigentlich als Brachflächen der Artenvielfalt dienen, sollen nun wieder bewirtschaftet werden.
„Irrsinnig, unglaublich, idiotisch“ – die Ökologie-Professorin Juliane Filser nimmt im Interview mit up2date. kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Auswirkungen konventioneller Landwirtschaft auf Böden und ihre Lebewesen geht. Juliane Filser arbeitet im Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien (UFT) der Universität Bremen und lehrt im Fachbereich 2 (Biologie/Chemie) Allgemeine und Theoretische Ökologie.
Frau Filser, wegen des Krieges in der Ukraine will die EU-Kommission in Europa vorübergehend die Bewirtschaftung von Brachflächen gestatten, die eigentlich zur Förderung der Artenvielfalt und zum Grundwasserschutz dienen sollten. Sie finden das nicht gut.
Typischerweise nehmen Landwirte für solche Brachflächen immer die schlechten Böden aus der Nutzung. Also in der Regel Böden, die sehr durchlässig, sandig und wenig produktiv sind. Solche kargen Böden lässt man liegen, weil das Wachstum auf ihnen begrenzt ist. Wenn man nun genau diese Böden wieder in die konventionelle Nutzung nimmt, vernichtet man einerseits zum größten Teil die Biodiversität, die auf diesen Flächen gewachsen ist. Andererseits bekommt man dadurch kaum zusätzliche Produktivität, verunreinigt aber wieder das Grundwasser stärker. Ökologische Bewirtschaftung verbessert diese Böden übrigens – aber das ist nicht Maßgabe der EU-Kommission gewesen.
„Es muss viel mehr vegetarische Kost angeboten werden – so, wie es unsere Mensa in vorbildlicher Weise macht.“ Professorin Juliane Filser
Sicher ist aber, dass künftig nicht mehr so viel Getreide und Futtermittel aus der Ukraine und Russland kommen wird. Wo soll man es jetzt anbauen, wenn nicht hier, wo es gebraucht wird?
Diese Lücke kann man zumindest teilweise dadurch ausgleichen, dass man nicht mehr so viel Getreide und Futtermittel in die Fleischproduktion steckt. Ich bin keine strikte Fleischgegnerin – aber das Lied, dass wir hier reduzieren müssen, singen wir Ökologinnen und Ökologen seit langem. Dann kann ich statt der Tiere viel mehr Menschen ernähren, wenn ich statt Futtermittel mehr Lebensmittel anbaue. Und auch nicht aus den Pflanzen Bio-Sprit oder ähnlichen Quatsch erzeuge. Mit dem irrsinnigen Aufwuchs von Raps- und Maisflächen gerade hier in Norddeutschland haben wir schon viel zu viel an Artenvielfalt kaputt gemacht.
Die deutsche Landwirtschaft nutzt die hiesigen Böden seit Jahrzehnten sehr intensiv. Wie würden Sie den Zustand einschätzen? Er ist doch regional sicherlich sehr unterschiedlich?
Man kann zumindest eine Differenzierung zwischen den Böden der ehemaligen DDR und denen der Bundesrepublik machen. Das hat sowohl geographische als auch politische Ursachen. Im Osten gibt es sehr viel sandige, leichte Böden, die schnell verarmen. Die sozialistische Wirtschaft hat zusätzlich mit einem unglaublichen Aufwand an Chemie die Böden total ausgelaugt. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich die erste Doktorarbeit aus dem Osten in meinem Bereich gelesen habe – da ist mir förmlich die Kinnlade runtergefallen. Der Doktorand hatte in der Gegend um Halle gearbeitet, und ich konnte nicht glauben, wie wenige Individuen noch in diesem Boden vorhanden waren. Im Vergleich zu westdeutschen Böden war das höchstens noch ein Viertel.
Wie sieht es im internationalen Vergleich aus?
In Deutschland ist der Boden nicht ganz so miserabel wie in vielen anderen Ländern. Ganz schlimm sieht es beispielsweise in den Great Plains östlich der Rocky Mountains in Nordamerika aus. Die werden intensiv landwirtschaftlich genutzt und sind völlig ausgelaugt. Dauerhafte Monokulturen und starker Pestizid-Einsatz bauen immer mehr Nährstoffe und organische Substanz ab. Das Ergebnis ist grausig. In China sind fast 20 Prozent der bewirtschafteten Böden durch giftige Substanzen kontaminiert – vor rund 40 Jahren waren es nur 5 Prozent. In Deutschland variiert der Bodenzustand zum Teil von Landwirt zu Landwirt. Im Hopfenanbau, wo furchtbar viel Pflanzenschutzmittel ausgebracht wird, kann man den Unterschied zwischen konventionellem und ökologischem Anbau deutlich sehen. Im Prinzip können auch Laien feststellen, ob ein Boden gut oder schlecht ist.
Woran sieht man das denn?
Wenn ich Boden in die Hand nehme und er fühlt sich ein bisschen krümelig und feucht an, sieht zudem dunkel aus – wir sagen dazu: ein typischer Regenwurmboden – dann ist er relativ gesund. Aber je mehr er zerfällt, desto saurer oder sandiger ist er, desto weniger Regenwurmtätigkeit und Mikroorganismen hat er, desto geringer ist wegen des niedrigen Nährstoffgehalts der Ertrag. Solche Böden sind viel schlechter in der Lage, Wasser festzuhalten und Schadstoffe abzubauen. Sie lassen auch mehr ins Grundwasser durch.
Die Welt schlittert immer weiter – und bislang kaum gebremst – in den Klimawandel hinein. Welche Rolle spielen die Böden dabei?
Eine sehr große. Nur ein Beispiel aus Norddeutschland – Stichwort „Entwässerung von Moorböden“. Da haben wir in der Vergangenheit ganz viel Ungutes angestellt. Denn Moorböden enthalten ein Vielfaches von Kohlenstoff im Vergleich zu anderen Böden. Wenn ich so einen Boden entwässere, tritt nicht nur viel Kohlendioxid aus, sondern auch sehr viel Methan. Das hat eine 23 mal stärkere Wirkung auf das Klima als Kohlendioxid! Aus heutiger Sicht ist also die Entwässerung von Moorböden einfach nur furchtbar. Die Neubildungsrate von Moorboden liegt bei ungefähr einem Millimeter pro Jahr. Und der Mensch entwässert Moore und baut den Boden dann meterdick ab, um damit zum Beispiel seinen Garten zu düngen. Schrecklich. Ein anderes Beispiel ist die Stickstoffdüngung auf landwirtschaftlichen Böden, die bei Nässe zur Bildung von N2O – genannt Lachgas – führt. Das ist noch schlimmer, etwa 300mal stärker als Kohlendioxid.
Böden werden ja auch als „Regenwald des armen Mannes“ bezeichnet. Was versteckt sich dahinter?
Die Vielfalt der Mikroorganismen geht ins Astronomische. Meinen Studierenden verdeutlichte ich das immer mit einem Bild des Sternenhimmels. Aber auch mit bloßem Auge sehe ich eine unglaublich reiche Welt. Regenwürmer und Maulwürfe kennt jedes Kind – aber es gibt unzählige Käfer, Spinnen, Wespen, Fliegen, Mücken, Würmer, Larven, Milben, Schnecken, Tausendfüßler, Einzeller und Fadenwürmer, Flechten, Moose, Pflanzenwurzeln und, und, und. Es wird geschätzt, dass nur die Larven von Fliegen und Mücken 30 Prozent des Laubs in einem Buchenwald zersetzen.
Auf Deutschland bezogen: Wie geht es der Tierwelt im Boden?
Schlecht. Ich bin manchmal regelrecht schockiert. Es gibt natürlich Ecken, wo noch alles in Ordnung ist – auf Wiesen, die zurückhaltend bewirtschaftet werden, in Wäldern, die in Ruhe gelassen werden. Ohne dass ich jetzt genaue Zahlen habe: Wenn ich den Stand vor 50 Jahren mit dem heutigen Stand vergleiche, liegen Welten dazwischen. Ich freue mich deshalb wahnsinnig, wenn ich irgendwo mal auf einen Boden stoße, in dem noch „der Bär steppt“. In Bremen-Nord, in der Ökologiestation, ist das zum Beispiel noch der Fall.
2021 erschien das populärwissenschaftliche Kompendium „WARNSIGNAL KLIMA: Boden und Landnutzung“. Sie haben darin das Kapitel zu Intensivlandwirtschaft und Bodendegradation geschrieben und fordern von Entscheidungstragenden „mutige Entscheidungen auf Basis der Grenzen verfügbarer Ressourcen.“ Was halten Sie für unabdingbar?
Vieles, was unser aktueller Landwirtschaftsminister fordert, ist meines Erachtens sehr richtig. Etwa der Gedanke, durch staatliche Unterstützung ausschließlich Obst und Gemüse billiger zu machen. Wir müssen unbedingt wegkommen von der Fleischsubvention und der völlig idiotischen exportorientierten Milchwirtschaft! Wir produzieren und konsumieren viel zu viel Milch und Fleisch – mit allen schädlichen „Nebenwirkungen“ für Boden und Klima. Wir müssen beispielsweise dazu kommen, dass in Schulen, Kantinen und anderen öffentlichen Orten der Gemeinschaftsverpflegung viel mehr vegetarische Kost angeboten wird. So, wie es die Mensa der Universität Bremen in vorbildlicher Weise macht. Denn das ist besser für uns, und es ist besser für den Planeten. Wir müssen dringend umdenken – und zwar jetzt!