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50/20-Jubiläum: „Thematisch ist das iaw absolut notwendig“

Mit viel Prominenz feierte das Institut Arbeit und Wirtschaft – kurz: iaw – kürzlich ein „doppeltes Jubiläum“. Anlass für ein Interview mit Direktorin Irene Dingeldey.

Uni & Gesellschaft

Das Kürzel iaw ist in Bremen und umzu ein Markenzeichen, wenn es um fundierte regionale Analysen der vielfältigen Aspekte rund um Arbeit und Soziales geht. Professorin Irene Dingeldey erklärt, warum die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Armut und sozialer Ungleichheit, kommunaler Sozial-, Bildungs- und Familienpolitik sowie Stadt- und Regionalentwicklung so wichtig für Stadt und Land Bremen ist – und welche Rolle das Institut dabei seit Jahrzehnten spielt.

Frau Dingeldey, 1971 wurde die Universität Bremen gegründet. Von Beginn an gab es auch eine Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer. Sie selbst waren seinerzeit zwar nicht dabei, aber wissen sicher etwas über die damaligen Beweggründe …

1971 hieß die Arbeitnehmerkammer noch Arbeiterkammer, es gab daneben noch eine Angestelltenkammer – später wurde beides unter dem neuen Namen vereint. Die als Reformuniversität gestartete Bremer Uni wollte nicht nur tradierte Themen behandeln, sondern auch die Lebensumstände und Probleme der Arbeiterschaft beleuchten. Das war damals noch die größte Gruppe in der Gesellschaft. So entstand die Kooperation mit der Arbeiterkammer, die aber ganz anders als heute mit der Arbeitnehmerkammer aussah. Arbeiterbildung spielte damals zum Beispiel eine große Rolle. Eine diskussionsfreudige Zeit, in der die Kooperation nicht immer konfliktfrei verlief. Organisatorisch war es damals eine „Zentrale Wissenschaftlicher Einheit“ – ZWE – mit dem Namen „Arbeit und Betrieb“, später „Arbeit und Region“.

Vor 20 Jahren kam es dann zur Gründung des Institut Arbeit und Wirtschaft, dessen Kürzel iaw heute durchaus sowas wie ein Markenzeichen ist. Was war Anlass für die Institutsgründung – und was ist daraus geworden?

Im Laufe der 1980er-Jahre hatte sich die ursprüngliche Organisationsform der Kooperation etwas überholt, und man wollte das Ganze in eine neue Form überführen. Gründungsdirektor war damals Professor Rudolf Hickel. Von der alten ZWE blieben schließlich bis heute das iaw und das Zentrum für Arbeit und Politik – kurz zap – übrig.

Gefeiert haben Sie das 50/20-Jubiläum dann Mitte September 2022 – eigentlich ein Jahr zu spät. Welche Form haben Sie dafür gewählt?

Für die Verschiebung war Corona verantwortlich, und wir wollten wirklich gerne eine Festveranstaltung in Präsenz machen. Unser Auftrag ist ja, zum Wohle der Arbeitnehmenden in Bremen und umzu zu forschen – das tun wir unter anderem mit vielen Regionalstudien. Der Festakt im Schuppen 2 in der Überseestadt sollte auch unsere Nähe zur Stadtgesellschaft dokumentieren. Mit der ehemaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales und jetzigen Chefin der Arbeitsagentur, Andrea Nahles, dem Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte, dem Senator für Finanzen, Dietmar Strehl, und Wissenschaftssenatorin Claudia Schilling war auch viel politische Prominenz dabei. Das haben wir als Anerkennung und Auszeichnung empfunden.

Gruppenbild mit Andreas Bovenschulte, Andrea Nahles und Irene Dingeldey
Prominenz bei der Festveranstaltung: Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles (Mitte) zusammen mit iaw-Direktorin Irene Dingeldey.
© Senatspressestelle

Zur Kooperation: Wieviel vom iaw ist Universität, wieviel Arbeitnehmerkammer? Und wie wird das Institut finanziert?

Zwei unserer wissenschaftlichen Vollzeitstellen werden von der Arbeitnehmerkammer finanziert, das sind Angestellte der Kammer, die werden zu uns abgeordnet. Fünf Stellen für Forschende werden von der Universität bezahlt. Das sind sozusagen die Planstellen. Aber wir sind natürlich viel mehr – wir akquirieren mehr als 50 % unseres Budgets aus Drittmitteln, aus denen weitere Stellen finanziert werden. Da haben wir ein sehr breites Spektrum von Auftraggebenden, etwa das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Stiftungen, aber auch senatorische Ressorts.

Zu welchen Themen forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts? Gibt es Projekte, die besonders exemplarisch für das iaw sind?

Beispielhaft ist die Armutsforschung in Bremen, wobei die stadtsoziologische Perspektive – also quartiersbezogene Themen – mit aktuellen Politikreformen verbunden werden. Also konkret die Frage: Wie sind die Kitaplätze in den Stadtteilen verteilt? Welche Konkurrenzkämpfe um Plätze gibt es? Welche Strategien verfolgt die Politik, um einen möglichst hohen Deckungsgrad zu erreichen? Ein anderes Themengebiet ist „Mindestlohn und Tarifpolitik“. Da haben wir zum Beispiel Studien zur Tarifbindung in Bremen gemacht, mit dem Ergebnis, dass sie rückläufig ist – im Klartext: Arbeitskräfte werden immer weniger nach Tarif bezahlt. Das fördert die soziale Ungleichheit. Andere Themen sind der Länderfinanzausgleich, Pflegeberufe und vieles mehr.

Ein Arbeiter verrichtet in Arbeitskleidung seine Arbeit, sodass Funken sprühen
1971 wurde die Kooperation der Bremer Uni mit der Arbeiterkammer gestartet. Ziel war es, die Lebensumstände und Probleme der Arbeiterschaft zu beleuchten.
© everettovrk / Adobe Stock

Die Gesellschaft ist, so hat es den Anschein, in immer schnellerem Wandel – und viele Probleme aus Arbeit und Gesellschaft sind Dauerprobleme. Die Arbeit geht Ihnen also nicht aus?

Mit Sicherheit nicht. Weil wir viel Expertise haben, bekommen wir sehr oft aktuelle Anfragen von Presse und Politik, wie zum Beispiel kürzlich zum Bürgergeld. Da hat unser Wissenschaftler René Böhme kurzfristig eine Modellrechnung erarbeitet, die zeigt, dass erwerbstätige Menschen durchaus mehr verdienen als Menschen, die das Bürgergeld beziehen. Dies hat die These entkräftet, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt. Grundsätzlich sind wir so ausgerichtet, dass wir aktuelle Probleme und Entwicklungen untersuchen. Unsere generellen Schwerpunkte sind erstens die Governance – also: wie werden politische Prozesse am besten gestaltet bzw. wie wird in Organisationen geführt, zweitens die soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit und schließlich drittens die Herausforderungen im Zuge der sozialökonomischen Transformation.

Inwieweit hört die Politik auf Sie? Nimmt man Ihre Forschungsergebnisse so wahr – und ernst –, dass daraus auch etwas Konkretes folgt?

Ich glaube schon, dass wir gewisse Themen mit besetzt haben – wie zum Beispiel die Armutsberichterstattung speziell für Bremen. Grundsätzlich ist es schwierig, das ganz konkret zu machen, weil politische und organisatorische Prozesse ja oft sehr lange dauern. Man finalisiert Studien und dann passiert erst mal drei, vier oder fünf Jahre gar nichts. Aber dann sieht man eines Tages, dass doch Ideen oder Vorschläge auftauchen und umgesetzt werden, die wir als Schlussfolgerung unserer Untersuchungen artikuliert haben.

„Weil wir viel Expertise haben, bekommen wir sehr oft aktuelle Anfragen von Presse und Politik“ iaw-Direktorin Professorin Irene Dingeldey

Das iaw hat also mit seiner Arbeit durchaus Einfluss?

Ich denke schon – aber nicht in dem unmittelbaren Sinne, als dass wir heute ein Forschungsergebnis haben und morgen wird schon konkrete Politik bzw. Verwaltung damit gemacht. Wo wir unmittelbar helfen, ist manchmal, Zusammenhänge aufzuzeigen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Infrastruktur für das Umsetzen von politischen Entscheidungen, wenn es plötzlich dreimal so viel Wohngeldbeziehende gibt, aber nicht auch dreimal so viele Verwaltungskräfte oder ITler, die die Anträge bearbeiten können. Wir werden uns daher in Zukunft mit Fragen beschäftigen, dass wir auf gewissen Ebenen mehr Arbeit haben, aber weniger Menschen, die sie machen können. Wir werden entsprechend versuchen, Modelle zu entwickeln, um damit umzugehen.

Inwieweit ist das Institut als „Kind“ der Arbeitnehmerkammer parteiisch? Nehmen Sie explizit die Sichtweise der Arbeitenden und Nicht-Arbeitenden ein, oder schauen Sie auch mal durch die Brille der Arbeitgebenden?

Auf jeden Fall – das müssen wir. Wenn wir zum Beispiel Betriebsabläufe zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändern wollen, werden natürlich auch die Überlegungen, Kalküle und Handlungsorientierungen der Arbeitgebenden einbezogen. Die Lösung muss ja im Kompromiss bzw. der Koordination der verschiedenen Interessen gefunden werden. Unser Verhältnis zu den Arbeitgebenden in Bremen ist nicht schlecht. Man weiß natürlich, dass wir nicht primär die Gewinnmaximierung im Fokus haben. Dafür gibt es andere Institute. Aber ich glaube, dass man uns auch auf der Seite schon dahingehend vertraut, dass wir gute und zielführende Analysen machen.

Gruppenbild der Klausurtagung des Instituts Arbeit und Wirtschaft
Ein starkes Team: Sieben iaw-Stellen sind Planstellen, weitere Beschäftigte finanziert das Institut aus den eingeworbenen Drittmitteln. Sie machen mehr als 50 % des Budgets aus.
© iaw

Wie sehen die nächsten 20 oder 50 Jahre des iaw aus? Müssen Sie um Ihre Zukunft bangen, oder ist die gesichert?

Ich sehe einen großen gesellschaftlichen Bedarf für Forschungsinstitute wie das unsere, die sich mit der Zukunft von Arbeit beschäftigen, mit den Problemen von Erwerbstätigen, mit der Gestaltung von Arbeit. Eine Auseinandersetzung damit ist unabdingbar. In den vergangenen Jahren ist das Forschungsthema „Arbeit und Arbeitsbeziehungen“ allerdings bundesweit zurückgefahren worden. Wir sind in Deutschland eines der wenigen Institute überhaupt, das sich noch mit dem Thema beschäftigt. Thematisch sind wir absolut notwendig. Weil wir auch sehr viel Transfer leisten und dies bei der Evaluation von Forschungsinstituten künftig eine größere Rolle spielen soll, sind wir gut aufgestellt. Zumindest für die nahe Zukunft sind wir auf der sicheren Seite – der Kooperationsvertrag zwischen Arbeitnehmerkammer und Universität wurde kürzlich für weitere fünf Jahre verlängert. Gleichwohl brauchen wir auch weiterhin aktive Unterstützung von Universitätsleitung, Arbeitnehmerkammer, aber auch von den Bremer Ressorts, damit nicht nur unsere Arbeit weitergeführt, sondern auch der anstehende Generationenwechsel im Personal reibungslos erfolgen kann.

Das iaw hat anlässlich seines Jubiläums ein Imagevideo erstellt, das anschaulich macht, welche Rolle es in Bremen und umzu spielt und woran es forscht.
© iaw

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