Anpassen oder Umkippen?
Projekt „Humboldt-Tipping“ entwickelt nachhaltiges Küstenmanagement für Peru
Vor der peruanischen Küste im Pazifik liegt mit dem Humboldt-Auftriebssystem eine der fischreichsten Regionen der Erde. Doch die intensive Nutzung durch den Menschen und die Folgen der globalen Erwärmung könnten diesen Hotspot der Biodiversität langfristig zusammenbrechen lassen – mit spürbaren Folgen auch für den Rest der Welt. Ein Projekt mit Beteiligung der Universität Bremen hat die Gefahren durch mögliche Kipppunkte untersucht und die Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung erforscht. Zentrale Ergebnisse hat das Team nun im Rahmen einer virtuellen Ausstellung vorgestellt.
An der Küste Perus prallen im wahrsten Sinne des Wortes Welten aufeinander, die gegensätzlicher kaum sein könnten. An Land erstreckt sich direkt am Ozean ein breiter Streifen mit wüstenartiger Natur, in der sich nur die härtesten Experten für Trockenheit behaupten können. Ganz anders das Meer: Im Pazifik vor Peru wimmelt es nur so vor Meeresbewohnern. Hier tummeln sich Wale, Haie, Seelöwen, Seevögel und unzählige Fischschwärme.
Verantwortlich für dieses direkte Nebeneinander von trockener Wüste und nassem Paradies ist das Zusammenspiel von Meeresströmungen und Wind. Entlang der Westküste Südamerikas fließt der gigantische Humboldt-Strom und transportiert kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Antarktis nach Norden in Richtung Äquator. Zusätzlich wehen aus östlicher Richtung Passatwinde über das Land, treffen auf das Meer und schieben hier das von der Sonne erwärmte Oberflächenwasser nach Westen, hinaus auf den offenen Ozean. Aus der Tiefe rückt kaltes Meerwasser nach und füllt die Lücke. Weil auch das auftreibende Tiefenwasser voller Nährstoffe ist, können in der lichtdurchfluteten Zone nahe der Oberfläche Unmengen von einzelligen Algen gedeihen. Dieses Phytoplankton bildet die Nahrungsgrundlage für das hochproduktive Meeresbiotop. Landbewohner:innen jedoch haben das Nachsehen: Denn das kalte Auftriebswasser vor der peruanischen Küste erschwert die Wolkenbildung in der Luft darüber. So bleibt der Regen – auch an Land – meist aus.
Da in der Küstenwüste nur wenig Landwirtschaft möglich ist, richten die Menschen ihren Blick seit jeher auf die Schätze des Meeres. Jedes Jahr holt die Fischfangnation Peru mehrere Millionen Tonnen Meerestiere und damit etwa acht Prozent der globalen Fangmenge aus dem Pazifik – darunter vor allem Sardellen. Diese werden zu einem Großteil zu Fischmehl verarbeitet, unter anderem nach China und Europa exportiert und dort in Lachsfarmen und anderen Aquakulturbetrieben an Fische und Garnelen verfüttert. Somit hängen auch weit entfernte Regionen der Welt vom Wohl und Wehe des Biodiversitäts-Hotspots vor der peruanischen Küste ab, der sich bereits jetzt in Folge des Klimawandels verändert.
Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Humboldt-Tipping“ haben Forschende aus Peru, Kiel, Hamburg und Bremen vier Jahre lang das Zusammenspiel von Ökologie, Gesellschaft und Wirtschaft im Humboldt-Auftriebsgebiet auf mögliche Kipppunkte hin untersucht. Gemeinsam mit den Nutzergruppen vor Ort wurden zudem Anpassungsstrategien an die sich ändernden Umweltbedingungen erforscht. Aus Bremen sind das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) und das artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen am Projekt beteiligt. Artec-Sprecher Michael Flitner leitet das Work Package 7 „Stakeholder Engagement und Governance-Strategien“. Im Fokus steht hier die Einbindung der lokalen und nationalen Akteure: So wurden etwa Gruppendiskussionen mit Fischer:innen, Seeleuten, Tourismusunternehmen und Mitgliedern öffentlicher und privater Einrichtungen organisiert und durchgeführt. Dies dient zum einen dem besseren Verständnis des sozial-ökologischen Systems, zum anderen lassen sich nur im intensiven Dialog zwischen allen Nutzergruppen die Regeln für eine nachhaltige Nutzung des Küstenozeans entwickeln und umsetzen.
Zum Abschluss der ersten Projektphase haben die Forschenden nun eine virtuelle Ausstellung konzipiert, die frei nutzbar im Internet zentrale Ergebnisse vorstellt. In der kommenden zweiten Phase sollen die Anpassungsstrategien im Kontext der globalen Umweltveränderungen weiter konkretisiert werden.
In der virtuellen Ausstellung finden Interessierte ein schematisches 3-D-Modell des Humboldt-Auftriebssystems vor Peru, wie es sich aktuell darstellt. Ein Klick auf die einzelnen Symbole führt zu erklärenden Texten und Videos, die einzelne Aspekte wie die Sardellen-Fischerei oder den Tourismus vorstellen. Der Clou: Durch einen Klick auf den Schalter „Doom“ kippt das ganze System in eine durchaus mögliche, düstere Zukunft mit extremem Klimawandel und Überfischung. Hier hat die Erwärmung des Wassers zu einer Ausbreitung von Sauerstoffmangelzonen geführt. Die wirtschaftlich so wichtigen Sardellenbestände sind eingebrochen. Stattdessen haben sich kleinere Fische wie die Grundel oder der Panamalichtfisch ausgebreitet, weil sie besser mit dem wärmeren und sauerstoffarmen Wasser zurechtkommen. Diese Arten leben jedoch nicht in großen Schwärmen und sind viel schwerer zu fangen, weshalb auch Fischerei und Fischmehlindustrie in einer tiefen Krise stecken.
Ganz anders sieht das Bild bei einem Klick auf „Ideal“ aus: Hier zeigt sich, wie prosperierend die peruanische Küste mit mehr Klimaschutz und einem nachhaltigen Management von Fischerei und Muschelzucht aussehen könnte. Sauerstoffmangelzonen haben sich nicht ausgebreitet. Die Sardellenbestände werden durch mehr marine Schutzgebiete und reduzierte Fangmengen geschont und in größerem Maß für den direkten Verzehr als für die Produktion von Fischmehl genutzt. Zudem hat die Artenvielfalt zugenommen und durch nachhaltigen Ökotourismus wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, die Jobverluste in der Fischerei ausgleichen konnten.
Weitere Informationen
Die virtuelle Ausstellung „Humboldt-Tipping“ zeigt Gefahren durch mögliche Kipppunkte und Lösungsansätze auf und kann unter folgendem Link besucht werden: https://virtex.humboldt-tipping.org/de/ausstellung
Viele weitere Infos finden sich auf der Webseite des Projekts.