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„Die einzige Chance, etwas Sinnvolles zu machen“

Omid-Farda-Stipendium: Wie drei junge Menschen aus Afghanistan ihren Weg zum Studium an der Uni Bremen meistern

Uni & Gesellschaft / Zusammenhalt

Eigentlich ist noch eine halbe Stunde Unterricht. Doch Nazdana Sultanfar, Sohrab Zarbafiyan und Mohammad Fahim Amini haben sich heute etwas früher aus ihrer Deutschklasse verabschiedet. Die Afghan:innen haben einen Interviewtermin mit up2date. Den versäumten Stoff müssen sie nachholen. Trotzdem betreten sie mit einem Lächeln den Raum an der Sprachschule „CASA“, in dem das Interview stattfindet. Warum sie sich die Zeit nehmen? Die drei haben eine Mission. Sie sehen sich als Stimme – als Stimme der Menschen in ihrem Heimatland, die zum Schweigen gebracht wurden.

Vor fast einem Jahr sind Nazdana Sultanfar, Sohrab Zarbafiyan und Mohammad Fahim Amini mit dem Omid-Farda-Stipendium der Universität Bremen und der Akademie HERE AHEAD aus ihrer Heimat nach Bremen gekommen. Sie gehören zu insgesamt elf Frauen und Männern unter 30 Jahren, die in einem harten Auswahlprozess überzeugen konnten. Auf die begrenzten Plätze hatten sich weit mehr als 5.000 Menschen beworben. Das Ziel des Stipendiums: engagierten und gefährdeten Afghan:innen die Chance geben, ihre akademische Laufbahn an der Universität Bremen fortzusetzen, die sie nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 abbrechen mussten oder gar nicht erst beginnen konnten.

Ihr Traum: Die erste Frauenministerin in einem freien Afghanistan

„Ich bin sehr glücklich hier zu sein, aber es ist auch hart“, sagt Nazdana Sultanfar. Einerseits hat es die 22-Jährige aus Kabul geschafft: Sie ist in Deutschland, kann in Freiheit leben und bald ihr Studium der Politikwissenschaften fortsetzen. Oder doch lieber Jura? Sie hat die Wahl, kann selbst entscheiden, was sie aus ihrem Leben machen will. Ein gutes Gefühl. Andererseits ist da ihre Heimat, in der Millionen von Frauen der Weg zu Bildung versperrt ist. Nazdana Sultanfar will von ihnen erzählen, damit die Welt weiter hinsieht: „In meinem Land gibt es keine Freiheit mehr. Frauen dürfen nichts machen, nur zu Hause sein und Mann und Kinder versorgen. Es ist sehr schmerzhaft für mich, daran zu denken.“ Doch Aufgeben ist für sie keine Option. Die Studentin hat einen Plan. Eines Tages will sie die erste Frauenministerin in einem freien Afghanistan werden.

Nazdana Sultanfar steht draußen und lächelt in die Kamera. Im Hintergrund ist eine hölzerne Sitzgelegenheit zu erkennen, sowie eine tiefe Steinmauer und ein paar Pflanzen.
Nazdana Sultanfar träumt davon, eines Tages Frauenministerin in einem freien Afghanistan zu sein.
© Matej Meza / Universität Bremen

Doch bis es irgendwann möglichweise so weit ist, bleibt für Nazdana Sultanfar noch einiges zu tun. Der nächste Schritt ist die Deutschprüfung zum Niveau C1 nach dem sogenannten gemeinsamen europäischen Referenzrahmen. Dieser Nachweis ist die Voraussetzung dafür, dass die Stipendiat:innen an der Universität Bremen zum Wintersemester 2024/25 studieren können. Daher pauken sie derzeit im Eiltempo deutsche Vokabeln und Grammatik.

„Ein Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen“

Wie straff das Programm ist, beweist der Alltag von Sohrab Zarbafiyan, einem weiteren Stipendiaten. Freizeit hat er keine. Wenn er nicht kocht, isst, duscht oder schläft, lernt er. Jeden Tag. Seit elf Monaten. „Wir haben bei uns ein Sprichwort: Ein Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen“, sagt der 28-Jährige. Er lächelt dabei, doch bei seinen nächsten Worten wird klar, dass hinter diesem lockeren Spruch bittere Realität steckt: „Wir müssen die C1-Prüfung schaffen, damit wir hier studieren können. Das ist die einzige Chance für mich, etwas Sinnvolles aus meinem Leben zu machen.“ Sohrab Zarbafiyan kommt aus Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans. Bis zur Machtübernahme der Taliban hat er Informatik und Kommunikationstechnologie an der American University of Afghanistan studiert. Seinen Bachelor hat er in der Tasche, doch das reicht dem ehrgeizigen jungen Mann nicht. Er strebt einen Master in Informatik an, mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz. Danach möchte er promivieren.

Sohrab Zarbafiyan steht draußen und lächelt in die Kamera. Im Hintergrund ist eine hölzerne Sitzgelegenheit zu erkennen, sowie eine tiefe Steinmauer und ein paar Pflanzen.
Sohrab Zarbafiyan möchte nach dem Master-Studium in Informatik promivieren.
© Matej Meza / Universität Bremen

Die Taliban haben studierten Afghanen wie ihm harte Einschränkungen auferlegt. Hinzu kommt: Vor der Machtübernahme hat seine Familie für verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen gearbeitet, daher fühlt er sich aktuell nicht mehr sicher in seiner Heimat: „Wer sich um Bildung bemüht, wird verfolgt und unterdrückt.“ Er hat gehört, dass mittlerweile vor allem Mullahs, also regimetreue Geistliche, an den Universitäten lehren. „Was soll das für ein Studium sein? Die Mullahs kennen nichts außer terroristischer Aktivitäten und das Töten unschuldiger Menschen. Unter so einer Autorität kann ich nicht studieren oder promovieren. Das alles macht überhaupt keinen Sinn.“ Seine Enttäuschung über den Niedergang seines Heimatlandes geht so weit, dass Sohrab Zarbafiyan aktuell ausschließt, jemals wieder dorthin zurückzukehren. „Ich bleibe hier in Deutschland. Ich möchte mein Wissen hier anwenden. Afghanistan fehlt es an der Kapazität, meine Expertise vollständig zu nutzen“, sagt er.

Mohammad Fahim Amini sieht das ähnlich. Der 26-Jährige aus Mazar-i-Sharif ist ebenfalls Informatiker. Seine Zukunft sieht er klar vor sich: „Ich möchte hierbleiben. Durch mein Studium und mithilfe der Deutschen werde ich meine Träume verwirklichen. Ich möchte die Freundlichkeit zurückzahlen, die mir das deutsche Volk, die deutsche Regierung und besonders die Mitarbeitenden der Universität Bremen in jeder Situation entgegengebracht haben“, sagt er. Eine Rückkehr nach Afghanistan schließt er aus. „Ich habe viele Freunde verloren, die von den Taliban getötet wurden. Ich habe keine Hoffnung auf ein wohlhabendes und friedliches Afghanistan“, sagt er ganz ruhig. Doch wer genau hinschaut, sieht, dass ihm diese Worte schwerfallen. Vielleicht könne er seinem Volk ja eines Tages von Deutschland aus helfen. Eine Sache ist ihm ganz wichtig: „Ich kann ohne Zweifel sagen, dass das Omid-Farda-Stipendium uns wie ein Engel im Herzen der Dunkelheit zu Hilfe kam und unsere Hand nahm, um uns in eine Zukunft ohne Krieg und Elend zu führen.“

Deutsche sind nicht ernst und böse, sie sehen nur so aus

Wenn Mohammad Fahim Amini an seine Reise nach Deutschland im Frühling 2023 zurückdenkt, denkt er vor allem an die Angst, die ihn damals beim Einsteigen ins Flugzeug begleitete: Wie würde sein neues Leben aussehen? Würde er es schaffen, in Deutschland Freund:innen zu finden? „Ich hatte gehört, dass die Deutschen sehr ernst und böse sind. Dass sie nicht mit Fremden reden. Jetzt weiß ich: Die Deutschen sind nicht böse. Sie haben offene Herzen und helfen gern. Sie sehen nur manchmal böse aus, weil sie Stress haben,“ sagt er. Der junge Mann freut sich darauf, bald täglich auf dem Campus der Universität zu sein und beim Studieren andere junge Menschen kennen zu lernen. Aktuell sieht er vor allem die anderen Stipendiat:innen, schließlich wohnen sie alle zusammen in einem Studierenden-Wohnheim in Horn-Lehe. Aber der Alltag sei häufig so vollgestopft mit Lernen, dass kaum Zeit für die schönen Dinge bleibe.

Mohammad Fahim Amini steht draußen und lächelt in die Kamera. Im Hintergrund sind Pflanzen und eine kleine Steinmauer zu sehen.
Mohammad Fahim Amini freut sich auf den Studienbeginn im Oktober.
© Matej Meza / Universität Bremen

Manchmal kochen sie zusammen, aber es sei nicht immer leicht, die richtigen Zutaten zu bekommen. Sohrab Zarbafiyan vermisst einige Lebensmittel, die in Afghanistan leicht zu bekommen sind wie spezielle Reissorten oder bestimmte Bio-Produkte. Noch etwas Anderes ist ihm aufgefallen: „Die Deutschen mögen es gern sehr süß. Wir haben Glühwein probiert. Das war ganz neu für mich.“ Mohammad Fahim Amini ergänzt lachend: „Also ich mag Glühwein. Er schmeckt ähnlich wie ein besonderes Getränk des afghanischen Volks, es heißt Haft Meywah. Da kann ich mich wohl dran gewöhnen.“

Übrigens: Das gesamte Interview wurde auf Deutsch geführt. Als der Interviewerin eine Frage auf Englisch herausrutschte, guckte Nazdana Sultanfar verwirrt und sagte: „Entschuldige, aber ich kann kein Englisch mehr. In meinen Kopf ist nur noch Deutsch“.

Infos zum Omid-Farda-Stipendium

Schon der Name trägt die Hoffnung in sich: Das Stipendium „Omid Farda“, persisch für „Hoffnung für morgen“ bietet elf afghanischen Studierenden eine Perspektive für ein Studium in Bremen. Die Stipendienausschreibung fand im Frühsommer 2022 über die Academy HERE AHEAD statt. Sie sah klare Kriterien vor: nicht älter als 30 Jahre, letzter Abschluss nicht älter als fünf Jahre, ein Nachweis über vorherige Schul- bzw. Studienleistungen (in einem Fach aus dem Angebot der Universität Bremen) und die Darlegung der derzeitigen Bedrohungslage wurden gefordert. Mehr als 5.000 Bewerbungen gingen ein. Es folgte ein harter und kräftezehrender Auswahlprozess nach einem objektiven Punktesystem. Die Reise der ausgewählten Stipendiat:innen gestaltete sich aufgrund der schwierigen politischen Lage in Afghanistan und den Nachbarländern als schwierig. Erst im Sommer 2023 konnten alle Personen auf dem Bremer Campus begrüßt werden. Das Omid-Farda-Stipendium ist das deutschlandweit erste Stipendium für afghanische Studierende. Derzeit werden keine weiteren Stipendien vergeben.

Weitere Informationen:

Interview mit Politikwissenschaftler Klaus Schlichte: Das Land der 100.000 Kompromisse

Pressemitteilung der Universität Bremen, Mai 2023

Bericht von buten un binnen, Sommer 2023

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