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Die vielen Spielarten des europäischen Populismus

Politikwissenschaftler Dr. Seongcheol Kim im Interview

Uni & Gesellschaft / Zusammenhalt

Populismus, Nationalismus, Rechtsextremismus – im Vorfeld der Europawahl werden diese Begriffe häufig vermengt, sagt Politikwissenschaftler Dr. Seongcheol Kim. Im Gespräch mit up2date. erklärt er, warum nicht nur Rechtsextreme populistisch auftreten und welche Spielarten des Populismus in Europa zu beobachten sind.

Herr Kim, im Vorfeld der Europawahl hört man oft, dass populistische Parteien auf dem Vormarsch seien. Vertreten Sie diese These auch?

Es sind vor allem radikal rechte Parteien auf dem Vormarsch. In vielen Ländern stößt völkisches, ethnonationalistisches Denken auf Zuspruch, gerade in Bezug auf sogenannte „Masseneinwanderung“. Bei der anstehenden Europawahl wird sich zeigen, ob die radikale Rechte die Liberalen als drittstärkste Kraft im Europaparlament überholt. Das wäre nach den bisherigen Prognosen ein durchaus mögliches Szenario. Wenn in der öffentlichen Debatte von populistischen Parteien die Rede ist, sind oft Parteien von Rechtsaußen gemeint. Diese undifferenzierte Argumentation ist problematisch, denn Populismus und rechtsextreme Politik sind auf keinen Fall Synonyme.

Was ist Populismus überhaupt?

Dazu gibt es in der Forschung verschiedene Definitionen. Die meisten stimmen darin überein, dass im Populismus ein Gegensatz konstruiert wird zwischen einem Volkssubjekt und einer mächtigen Elite. Es geht im Populismus vor allem um eine Art, kollektive Identitäten zu konstruieren: wir als Volk gegen die da oben. Wenn man Populismus so versteht, kann er ganz unterschiedlich ausgeprägt und politisch rechts, aber auch in der Mitte oder links angesiedelt sein.

Sind populistische Parteien per se demokratiefeindlich?

Einige Forschende argumentieren, dass populistische Bewegungen und Parteien autoritär und antidemokratisch seien, weil sie einen Alleinvertretungsanspruch erheben: Nur wir vertreten wirklich das Volk, die etablierten Parteien sind Volksverräter. Ich vertrete aber die These, dass Populismus vor allem eine Argumentationslogik ist: Eine Machtelite regiert über die Köpfe des Volkes hinweg und muss beseitigt werden. Das kann beispielsweise auch auf Demokratisierungsbewegungen in Diktaturen durchaus zutreffen.

Welche Parteien in Europa sind aus Ihrer Sicht populistisch?

Es ist schwer, das so pauschal zu sagen. Denn viele Parteien argumentieren zu einigen Zeitpunkten oder Anlässen populistisch, zu anderen aber kaum. Als Beispiele für Linkspopulismus werden oft Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und France Insoumise in Frankreich genannt. Als Beispiel für einen transnationalen Populismus von links könnte man außerdem die DiEM25-Bewegung (Democracy in Europe Movement) nennen. Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat sie 2016 gegründet, 2019 ist sie zum ersten Mal bei der Europawahl angetreten. Die Partei versteht sich als paneuropäische, progressive Gruppierung, die die EU radikal demokratisieren soll. Sie sieht einen Kontrast zwischen den politischen und ökonomischen Eliten und dem „europäischen Volk“, das sie stärken möchte. Als populistische Partei der Mitte könnte man ANO anführen, die Partei um den Unternehmer Andrej Babiš, der sich gegen die „traditionellen Politiker“ und Parteien wendet. Auch die AfD argumentiert bisweilen populistisch, etwa im Bundestagswahlkampf 2017: Da vertrat sie die These, dass in Deutschland insgeheim eine Oligarchie regiere, die die Politik und die Medien kontrolliere.

Im Vorfeld der Europawahl sind kaum Spitzenpolitiker:innen bekannt. Ist das ein Problem für populistische Parteien?

Populistischen Parteien wird oft nachgesagt, dass sie auf starke Führungsfiguren setzen. Das ist aber längst nicht bei allen der Fall. Denken Sie beispielsweise an Bewegungen wie Querdenken Deutschland, die Indignados in Spanien oder Occupy Wall Street. Die traten und treten alle populistisch auf, ohne bekannte Führungspersonen. Auch bei Parteien wie der AfD gibt es nicht zwangsläufig die eine starke, verbindende Führungsfigur. Vor Wahlen auf Spitzenpolitiker:innen zu setzen und sie bekannt zu machen, muss indessen auch gar nicht mit einer populistischen Agenda verbunden sein. 2014 wurde bei der Europawahl das Spitzenkandidatursystem eingeführt: Jede paneuropäische Fraktion tritt nun mit eigenen Spitzenkandidat:innen an. Die Idee dahinter war, dass die Wahlen bürgernäher und greifbarer werden. In einzelnen Fällen konnten besonders bekannte Spitzenkandidat:innen durchaus mobilisierend wirken, wie zum Beispiel Frans Timmermans für die niederländischen Sozialdemokraten bei der Europawahl 2019. Bei den anstehenden Wahlen sieht man allerdings, dass die meisten Spitzenkandidat:innen mit Ausnahme von Ursula von der Leyen, die zur Wiederwahl als Kommissionspräsidentin antritt, eher wenig bekannte Persönlichkeiten sind.

Über welche Aspekte von Populismus möchten Sie in Zukunft forschen?

Mich interessiert unter anderem, welche Nachahmungseffekte bestimmte Erfolgsfälle populistischer Parteien in Europa entfalten konnten. Inwiefern werden rhetorische Elemente, Wahlkampfstrategien oder sogar das Corporate Design dieser Parteien von anderen aufgegriffen? Es ließe sich zum Beispiel zeigen, dass die spanische linkspopulistische Partei Podemos einen großen Einfluss auf andere Parteien in Mittel- und Südosteuropa hatte. Zu diesen Verbindungen ist bisher kaum geforscht worden, und die Lücke möchte ich füllen.

Zur Person:

Seongcheol Kim ist seit 2023 Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und forscht als Ko-Leiter eines DFG-Projekts zu neuen Formen von Parteiorganisation an der Schnittstelle von Populismus und radikaldemokratischer Protestpolitik. Demnächst erscheint von ihm der Einführungsband „Populismus? Frag doch einfach!“

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