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„Jede Person kann zum Opfer werden“

Die belarussische Journalistin und Studentin Glafira Zhuk über die Situation in Belarus

Uni & Gesellschaft / Zusammenhalt

Vor zwei Jahren am 10. August 2020 – ein Tag nach Wahlende – erklärt sich Alexander Lukaschenko zum Gewinner der Präsidentenwahl in Belarus. Es ist seine sechste Amtszeit in Folge seit 27 Jahren. Mehr als 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler sollen für ihn gestimmt haben. Die Opposition um Swetlana Tichanowskaja und auch die Europäische Union erkennen das Urteil nicht an. Wochenlang protestieren Menschen gegen die massiven Wahlfälschungen. Eine große Gruppe unter den Oppositionellen bilden Studierende. Bis heute werden sie vom Regime unter fadenscheinigen Begründungen verfolgt und verhaftet. Eine von ihnen ist Glafira Zhuk.

Ich treffe Glafira Zhuk im Oktober 2021 im Institut für Europastudien. Zu der Zeit lebt sie in Bremen. Möglich gemacht hat das der Deutsche Journalistenverband mit Unterstützung vom Institut für Europastudien. In wenigen Tagen wird sie weiterreisen. Zunächst nach Kiew, nach dem russischen Angriffskrieg nach Litauen. Warum sie nicht in ihre Heimat Minsk zurück kann, wie sie die Proteste nach der Präsidentenwahl erlebt hat und was sie von der neuen deutschen Regierung erwartet, erzählt sie im up2date-Interview. Wir führen das Gespräch auf Englisch und Russisch. Simon Lewis, Juniorprofessor für Kulturwissenschaft/Kulturgeschichte Ost- und Ostmitteleuropas, übersetzt.

Wie ist die Situation der Protestierenden?

Zurzeit gibt es keine Proteste auf den Straßen, noch nicht einmal im Untergrund. Die Menschen sind einfach zu ängstlich, um rauszugehen. Zurzeit gibt es keine Bewegung als solche.

Wie haben Sie die Proteste im Sommer und Herbst 2020 erlebt?

Viele waren schockiert, wie viel Gewalt gegen die Protestierenden eingesetzt wurde. Auch viele Studierende waren unter den Opfern. Ich hatte vor allem das Gefühl, dass ich mit Blick auf diese Situation und die brutale Gewalt und Unterdrückung nicht normal weiterstudieren kann. Die offizielle Position meiner Universität – der Belarussischen Staatlichen Universität – war übrigens, dass Universität nicht in Politik involviert sei und es Studierenden daher nicht erlaubt sei, sich politisch zu äußern. Das bedeutet: kein Protest, nichts.

Hat Sie der massive Gewalteinsatz der belarussischen Regierung überrascht?

Für Menschen, die die belarussische Politik kennen, war es keine Überraschung. Seit 27 Jahren werden nach Präsidentschaftswahlen regelmäßig Personen verhaftet, getötet oder ermordet. Neu ist dieses Mal, dass auch ganz gewöhnliche Menschen verhaftet werden: Zum Beispiel Anwälte und Ärzte. Bislang waren es vor allem Geschäftsmänner und Politiker. Aber heutzutage kann jede Person zum Opfer werden.

Inwieweit waren Sie selbst Teil der Proteste?

Ich war Studentin im dritten Jahr meines Bachelors der Journalismus-Fakultät. Viele Ehemalige meiner Fakultät wurden verhaftet. Die Fakultät selbst machte kein Statement gegen die Gewalt und die Verhaftungen. Aber wir als Studierende haben die Proteste weitergetragen und unsere Stimmen erhoben. Zwischen Seminaren und Vorlesungen haben wir trotzdem protestiert. Wir standen beispielsweise in den Gängen und haben als Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Gewalt Hände gehalten.

Glafira Zhuk
Das Gespräch mit Glafira Zhuk fand im Oktober 2021 an der Uni Bremen statt.
© Universität Bremen / Sarah Batelka

Belarus belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen den hintersten Platz im europäischen Vergleich. Wie haben Sie als Journalistin die Proteste dokumentiert?

Als Studentin einer staatlichen Universität war mir nicht erlaubt, für unabhängige Zeitungen zu arbeiten. Aber als der Protest begann, habe ich gewusst, dass ich mich nicht raushalten kann. Ich habe beispielsweise mit Journalisten gesprochen, die zu Opfern geworden waren. Es war unmöglich für mich, nicht darüber zu schreiben.

Dann habe ich über eine Gruppe Studierender berichtet, die nach einem Protest zu 2 ½ Jahren Strafkolonie verurteilt worden waren. Da ich nicht ins Gerichtsgebäude durfte, habe ich von draußen berichtet und Fotos gemacht, die auf Facebook und in dem Telegramm-Kanal, für den ich schreibe, veröffentlicht wurden. Zwei Wochen später war ich beim Friseur, als die Polizei hereinkam und mich verhaftet hat. Ich war 30 Tage im Gefängnis. Offiziell wurde mir vorgeworfen, dass ich im Gericht protestiert hätte. Als ich schließlich entlassen wurde, stellte ich fest, dass meine Universität mich exmatrikuliert hat.

Die Universität hat Sie exmatrikuliert, während Sie im Gefängnis waren? Warum?

Angeblich weil ich eine Prüfung nicht mitgeschrieben habe. Ich habe die Prüfung nicht mitgeschrieben, weil ich im Gefängnis war.

Nach ihrer Entlassung im August 2021 sind Sie nach Bremen gekommen. Wie kam es dazu?

Der Deutsche Journalistenverband hat mich für einen Monat nach Bremen eingeladen, damit ich mich hier erholen kann. Zu relaxen und freie Luft zu atmen. Ich habe außerdem viele wundervolle Leute getroffen. Es war ein riesiges Privileg, ihnen mehr über meine Erfahrungen und darüber zu erzählen, was derzeit in meinem Land passiert.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich fühle mich besser. Es ist für mich sehr wichtig, zu wissen, dass man hier nicht verhaftet werden kann von irgendjemanden jederzeit. Ich kann mich frei fühlen.

Darum hat die Uni Bremen Kooperationen mit belarussischen Hochschulen beendet

Vor zwei Jahren ließ sich Alexander Lukaschenko nach einer Schein-Wahl in Belarus zum Sieger erklären. Die Universität Bremen hat Ende 2021 Kooperationsverträge mit zwei belarussischen Universitäten aufgekündigt. Mit Blick auf die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und Repressionen gegen Studierende und Wissenschaftler:innen sei eine gemeinsame Wertegrundlage für die Zusammenarbeit mit staatlichen Hochschulen in Belarus nicht mehr gegeben.

Inhaftierungen, Ausweisungen, Entlassungen und Verfolgungen – für ihre Regimekritik müssen Studierende in Belarus einen hohen Preis zahlen. „Für die Universität Bremen war die zwingende Konsequenz, die Kooperationen mit staatlichen belarussischen Hochschulen zu beenden“, erläuterte die Konrektorin für Internationalität und Diversität, Prof. Dr. Eva-Maria Feichtner. „Die Geschehnisse an Universitäten in Belarus sind in keiner Weise mit den Werten vereinbar, die die Universität Bremen anleiten.“

Konkret wurde die Zusammenarbeit zwischen mit der Belarusian National Technical University (BNTU) und der Belarusian State University (BSU) beendet. Allerdings: Da die Kooperationen seit Längerem nicht mehr aktiv gelebt worden waren, hat das Aufkündigen keine Auswirkungen für Studierende und Wissenschaftler:innen vor Ort. Es sei vielmehr darum gegangen, zu verhindern, dass Belarus sich mit vermeintlicher internationaler Wertschätzung schmücken könne.

Das Ziel der Universität sei es stattdessen, „Studierende und Wissenschaftler:innen aus Belarus individuell zu stärken“, hob Professorin Feichtner hervor. Die Universität unterstützt belarussische Wissenschatler:innen und Studierende durch die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Organisationen oder Einzelpersonen in Belarus oder im Exil. Einzelne Kontakte von Mitgliedern der Universität Bremen zu Studierenden und Wissenschaftler:innen in Belarus sollen unabhängig von der Kündigung der Verträge erhalten bleiben.

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