Wie erlebten Ukrainerinnen und Ukrainer den Kriegsbeginn?
Die Eltern der ukrainischen Wissenschaftlerin Evgenia Galytska leben in Kyjiw, als der Krieg ausbricht.
„,Am Morgen habe ich Feuerwerk gehört. Nur, dass es kein Feuerwerk war, sondern das Geräusch von Bomben‘, sagte meine Freundin.“ Evgenia Galytskas Eltern und Freund:innen wurden am 24. Februar 2022 in Kyjiw von den ersten Angriffen auf die Ukraine überrascht. Die junge Wissenschaftlerin lebt seit 2015 in Bremen. Sie berichtet vom schockierenden ersten Tag des russischen Angriffskriegs.
Die Universität Bremen unterhält mehrere Kooperationen mit ukrainischen Universitäten, Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen. Auch in Bremen arbeiten und studieren viele Ukrainerinnen und Ukrainer. Evgenia Galytska arbeitet seit 2015 am Institut für Umweltphysik. Ihre Eltern lebten bis zu den Angriffen in Kyjiw.
Das Interview
Mein Name ist Evgenia Galytska. Ich wohne seit über sechs Jahren in Bremen. Ich kam 2015 hier her, um am Institut für Umweltphysik zu promovieren. 2019 habe ich meine Doktorarbeit abgeschlossen. Seitdem arbeite ich als Wissenschaftlerin an der Universität Bremen.
Wie hast du von dem Angriff erfahren?
Es war früh am Morgen, als mein Mann mich aufweckte und sagte, es gäbe schlechte Nachrichten. Wenn man gerade erst aufwacht, begreift man nicht, was das heißen soll. Ich nahm mein Handy, um Nachrichten zu lesen. Da war eine Nachricht von meiner Mutter. Meine Eltern leben in Kyjiw und sind Frühaufsteher. Sie sind meist um fünf Uhr früh wach. Zu dem Zeitpunkt hatte sie mir geschrieben: „Wir hören das Geräusch von Bomben.“
Wie hast du dich gefühlt?
In Kyjiw, in der Ukraine, hatte man nicht damit gerechnet, dass es passiert. Wenn wir auf die Nachrichten zurückblicken, hat jeder darüber gesprochen. Aber bis zum letzten Moment hat niemand damit gerechnet, dass diese Dinge wirklich passieren, dass der Krieg wirklich in unser Land kommt. Als ich meine Mutter anrief, war es eine Mischung an Emotionen: ängstlich, verzweifelt, überwältigt und nicht wissend, was zu tun ist. Ich meine, du gehst abends in einem friedlichen Ort schlafen und dann hörst du – wie meine Freundin sagte – „Hey, am Morgen habe ich Feuerwerk gehört. Nur, dass es kein Feuerwerk war, sondern das Geräusch von Bomben“. Die Menschen verstecken sich in der Nacht in Kellern oder in den U-Bahn-Stationen, oder sie gehen in Schutzbunker. Stell dir vor, du kaufst eine Wohnung, und man sagt dir: „Hier gibt es auch einen Schutzbunker im Gebäude“. Und du denkst dir, „Danke, aber das brauche ich nicht“. Aber offenbar ist das nun, was Menschen das Leben rettet.
Wie ist es deinen Eltern ergangen?
Es dauerte ein paar Stunden, aber dann haben meine Eltern mit der Vorbereitung begonnen: Kochen, Wasser einkaufen. Die Läden hatten noch geöffnet. Man konnte nichts nach Hause liefern lassen, aber noch selbst einkaufen gehen. Wir haben jede Stunde telefoniert. Dann rief meine Mutter an und sagte: „Wir verlassen Kyjiw“. Mein Vater fuhr 25 Stunden mit dem Auto. Das war der Ablauf zwischen dem Moment, in dem sie begriffen, was passierte, Angst haben, verzweifelt sein, fliehen. Und man weiß gar nicht, wohin man fliehen soll, denn von Kyjiw aus gesehen muss man den Fluss Dnipro überqueren. Da gibt es nicht viele Brücken. Die Menschen sind verzweifelt; alle wollen fliehen, denn jeder weiß, Kyjiw wird jetzt angegriffen. Sie haben 25 Stunden gebraucht, bis sie das Gefühl hatten, dass sie in Sicherheit sind.
Wie ist es Freund:innen und Bekannten ergangen?
Nicht jeder ist geflohen. Ich habe meinen Professor kontaktiert, bei dem ich meine Masterarbeit geschrieben habe. Er hat zwei ältere Söhne. Er sagte, beide sind in der Armee, und er wird in Kyjiw bleiben. Wenn es notwendig ist, wird er kämpfen.
Wie geht es nun für dich weiter?
Ich versuche, etwas beizutragen. Ich denke, ich kann darüber sprechen, die Informationen verbreiten, Menschen überzeugen. Diejenigen, die immer noch glauben, dass in der Ukraine eine „Spezialoperation“ durchgeführt wird – dass das nicht wahr ist.
Die meisten Russinnen und Russen denken nicht wie ihr Präsident. Sie haben ihre eigene Meinung, und oft entspricht diese nicht den Handlungen und der Meinung dieses Präsidenten.
Wie erlebst du die Reaktionen in Bremen?
Ich war überrascht, zu sehen, wie die Menschen in Bremen reagiert haben. Ich kann nur über Bremen sprechen. Es gibt nicht nur Hilfsorganisationen, auch die Bürgerinnen und Bürger sammeln Kleidung, Medikamente, sie kaufen ein, organisieren und verschicken Hilfsgüter. Es ist unglaublich, das zu sehen.
Krieg in der Ukraine: So kannst Du helfen
Die Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen möchte geflüchteten Wissenschaftler:innen aus der Ukraine, aber auch bedrohten Kolleg:innen in Russland helfen, nach Bremen zu kommen, und vergibt dafür kurzfristig und unbürokratisch Hans-Koschnick-Stipendien.
Wir bitten um Mithilfe und Spenden, um die Geflüchteten nach Bremen holen zu können.
Spenden kannst Du an unseren Förderverein unter dem Stichwort: „geflüchtete WissenschaftlerInnen“:
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Wir stellen Dir gerne eine Spendenbescheinigung aus. Bitte schreibe hierzu eine kurze Email mit Namen und Adresse an: fsov@uni-bremen.de. Vielen Dank!
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