
© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Jedes Gramm zählt
Wie können mit dem 3D-Drucker gefertigte Titanbauteile kosten- und gewichtsoptimierter hergestellt werden?
In kaum einer Branche spielt das Gewicht eine so große Rolle wie in der Luft- und Raumfahrt. Je leichter ein Flugzeug, desto weniger Treibstoff verbraucht es. Wie mit dem 3D-Drucker gefertigte Titanbauteile kosten- und gewichtsoptimierter hergestellt werden können, haben Forschende aus Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance untersucht – und darüber hinaus umweltfreundlichere Lacksysteme und maßgeschneiderte Reparaturkonzepte entwickelt.
Fragt man Mika Altmann, was den 3D-Druck für ihn so spannend macht, ist eine gewisse Begeisterung nicht zu überhören. „Wir können mithilfe von Lasern Materialien entwickeln, die auf konventionellem Wege gar nicht erzeugbar sind. Wir können die Eigenschaften eines Bauteils bestimmen, seine Struktur, wie fest oder dehnbar es ist. Wir können aber auch kleinste Bereiche im Material anders gestalten.“ Die Potenziale des Verfahrens, fügt Altmann hinzu, seien längst nicht ausgeschöpft und das mache für ihn einen großen Reiz aus. „Dieses Wissen zu erlangen, wie ein Material sich verhält, wie ich es bearbeiten und verändern kann, sodass man mehr aus ihm herausholt, als zuvor möglich erschien, finde ich sehr wichtig, wenn man Entwicklungen vorantreiben will.“

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Genau das will der Doktorand am Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien - IWT, einer Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance. Altmann ist über das Leibniz-IWT am Förderprojekt „Technologien und Reparaturverfahren für nachhaltige Luftfahrt in Kreislaufwirtschaft“ (kurz: TIRIKA) beteiligt.
Finanziert mit rund 20 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bringt es unter Leitung der Bremer Airbus Operations rund ein Dutzend Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, die zu unterschiedlichsten Aspekten der Nachhaltigkeit in der Luftfahrt forschen – vom Recycling von Metallen und Kunststoffen über Alternativen zu Gefahrstoffen und den Einsatz von digitalisierten Prozessen bis hin zu nachhaltigeren Reparaturverfahren und zur Gewichtsersparnis.
Das Teilprojekt des Leibniz-IWT zielt darauf ab, ein Verfahren zu verbessern, mit dem 3D-gedruckte Titanbauteile wirtschaftlicher und ökologischer hergestellt werden können. Dabei geht es unter anderem um sogenannte Brackets. Das sind nicht sicherheitskritische Verbindungselemente, wie sie in vielen Bereichen eines Flugzeugs eingesetzt werden, zum Beispiel als Kabinenhalter. Um die beim 3D-Druck typischerweise entstehenden winzigen Poren der Bauteile zu schließen, werden sie bislang einer Hochdruck-Wärmebehandlung unterzogen, einer Kombination aus Hitze, Druck und anschließender Abkühlung. Das geschieht in einem Hochdruckzylinder bei Temperaturen bis zu 1.400 Grad Celsius und 2.000 bar Druck unter Verwendung von Argon, einem Edelgas. Das Problem: „Das Verfahren ist energieintensiv und sündhaft teuer“, sagt Altmann.

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Lassen sich dieselben Materialeigenschaften auch auf andere Weise erreichen oder sogar verbessern mit einer Wärmehandlung ohne Hochdruck? Dieser Frage gehen die Forschenden um Altmann und die Projektverantwortliche Dr. Anastasiya Tönjes nach, Abteilungsleiterin Leichtbauwerkstoffe am Leibniz-IWT. Zugleich versuchen sie, das Hochdruckverfahren selbst zu optimieren – und nutzen für ihre Experimente einen der wenigen in Deutschland verfügbaren Hochdrucköfen. Er befindet sich am ECOMAT, dem Bremer Forschungs- und Technologiezentrum der Luft- und Raumfahrtindustrie.

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Festigkeit, Härte und Dehnungsfähigkeit eines Materials werden vor allem durch gezielte Erhitzung und Abkühlung beeinflusst. Der Werkstoff durchläuft verschiedene Temperaturbereiche in unterschiedlich langen Zeiten. „Den Hochdruckofen haben wir zum Beispiel mit zehn bis 15 Grad Celsius pro Minute aufgeheizt und mit bis zu 1.600 Grad Celsius pro Minute abgekühlt“, erzählt Altmann. Je nach der gewählten Temperatur kann dieser Prozess auch mehrere Stunden in Anspruch nehmen.
„Wir haben sehr vielversprechende Ergebnisse erzielt.“Mika Altmann
Was kann man rausholen aus dem Material, das beim 3D-Druck Schicht für Schicht entsteht? Wo sind die Grenzen? Wo treten Probleme auf? Was kann kritisch werden? In unzähligen Tests stellten die Forschenden Materialproben her, ermittelten ihre Eigenschaften und verglichen die im Schutzgasofen erzielten Kennwerte mit denen aus dem Hochdruckverfahren. Zwar ist die Auswertung noch nicht abgeschlossen, doch schon jetzt zeichnet sich laut Altmann ab: „Wir haben sehr vielversprechende Ergebnisse erzielt.“

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
So hat sich die Festigkeit der Bauteile um zehn bis 15 Prozent erhöht, sie wurden also deutlich belastbarer. Zugleich braucht es weniger Material, um die angestrebten Eigenschaften zu erreichen. Mithin wird Gewicht eingespart und damit Treibstoff und Kosten, sowohl im Betrieb als auch bei der Herstellung der Bauteile. „Man kann teilweise auf das Hochdruckverfahren verzichten“, freut sich Altmann. Auch das Verfahren selbst wurde verbessert.
Mit dem 3D-Druck hat sich auch das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM beschäftigt, wie das Leibniz-IWT eine Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance. Konkret ging es unter anderem um eine einfachere Entfernbarkeit von bestimmten Stützstrukturen. Die sind bei komplexen, Schicht für Schicht aufgebauten Bauteilen nötig, um ihre Stabilität während des Druckprozesses zu gewährleisten. „Nach dem Druck müssen sie sehr aufwendig per Hand wieder entfernt werden“, erläutert Dr. Stefan Dieckhoff, Abteilungsleiter Adhäsions- und Grenzflächenforschung am Fraunhofer IFAM. Die Forschenden haben eine Lösung entwickelt, bei der eine Beize diesen Job erledigt – in Kombination mit einer Sollbruchstelle, die beim Druck entsteht.

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Für noch wichtiger für die Nachhaltigkeit der Luftfahrt hält Dieckhoff zwei weitere Themen, zu denen das Fraunhofer IFAM im Rahmen von TIRIKA geforscht hat: umweltfreundliche Lacke und ein neuartiges Reparaturkonzept für Beschädigungen der Außenhaut. Zum Oberflächenschutz von Flugzeugbauteilen unterstützen die Forschenden durch eine Vielzahl verschiedener Materialprüfungen und materialwissenschaftliche Analysen die Entwicklung von Korrosionsschutzprimern. Die neuen Primer sollen die bisherigen, potenziell krebserregenden chromathaltigen Produkte ersetzen. „Auch für Dichtmassen, die im Flugzeugbau vielfach zum Einsatz kommen, haben wir umweltfreundlichere Alternativen aufgezeigt“, sagt der Wissenschaftler.
„Wir haben gute Netzwerke wie zum Beispiel das ECOMAT, das MAPEX Center for Materials and Processes oder die U Bremen Research Alliance.“Dr. Anastasiya Tönjes
Ähnliches gilt für kleinere Schäden am Rumpf oder an den Tragflächen, wie sie etwa beim Handling am Boden entstehen können. Viele Flugzeuge sind aus kohlenstoffverstärktem Kunststoff gefertigt – ein schwer zu reparierendes Material. Die Ränder der beschädigten Stellen, so das Konzept der Forschenden, werden zunächst mit einem Vakuum-Saugstrahl-Verfahren bearbeitet. Anschließend wird die Fläche klebetechnisch mit einem Reparatur-Patch ausgebessert, das die ursprünglichen Faserrichtungen genau abbildet und sich auch aerodynamisch der Oberfläche anpasst. Gewährleistet wird zudem die Langzeitbeständigkeit der Reparatur, die viele Jahre halten muss.
„Der Reiz von TIRIKA ist die Themenvielfalt. Das habe ich in dieser Größe und Breite bei einem Luftfahrtforschungsprojekt noch nicht erlebt“, sagt Dieckhoff, der seit immerhin 1992 am IFAM tätig ist. „TIRIKA ist ein Leuchtturmprojekt, in dem viele unterschiedliche Disziplinen im Verbund mit Unternehmen gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit in der Luftfahrt forschen. Das ist schon etwas Besonderes“, pflichtet ihm Dr. Anastasiya Tönjes bei. Für sie ist das Projekt auch ein Beleg für die Stärke des Wissenschaftsstandortes Bremen und die in der Stadt versammelten Kompetenzen sowie die enge Zusammenarbeit nicht nur unter den Materialwissenschaftler:innen. „Wir haben gute Netzwerke wie zum Beispiel das ECOMAT, das MAPEX Center for Materials and Processes oder die U Bremen Research Alliance. Die Kommunikationswege sind kurz, das ist oft sehr hilfreich.“

© Jens Lehmkühler / U Bremen Research Alliance
Die von den Wissenschaftler:innen erzielten Ergebnisse gehen an die Industrie. Ob und wann sie umgesetzt werden, liegt nicht in den Händen der Forschenden. Sie brauchen oft einen langen Atem, wollen sie die Wirkung ihrer Arbeit sehen, insbesondere in der Luftfahrt. Die Prüfverfahren für Neuerungen sind streng, die Sicherheitsstandards hoch. Es können viele Jahre vergehen, bis Innovationen sich durchsetzen. Tönjes aber zweifelt nicht daran: „Unsere Ergebnisse werden Stück für Stück in die Produktion einfließen.“
ECOMAT: Zukunft der Luftfahrt
Gemeinschaftliches Forschen von Wissenschaft und Wirtschaft unter einem Dach – das ist die Grundidee des „Centers for Eco-efficient Materials and Technologies“ in der Airport-Stadt Bremen. Das ECOMAT bringt rund 500 Forschende unterschiedlichster Disziplinen zusammen, die sich Themen rund ums klimaneutrale Fliegen widmen wie etwa neuen Materialien und Werkstoffen oder der Nutzung von Wasserstoff. Sie teilen sich gemeinsame Laboreinrichtungen und sie verbindet das Ziel, industrienahe Anwendungen möglichst schnell in die Praxis zu bringen. Von der U Bremen Research Alliance sind gleich vier Mitgliedseinrichtungen am ECOMAT beteiligt: die Universität Bremen, das Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien - IWT, das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Der Artikel stammt aus Impact- Dem Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
In U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und zwölf Institute der bundländerfinanzierten außeruniversitären Forschung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der Tiefsee bis ins Weltall“. Das Wissenschafts-Magazin Impact gibt zweimal im Jahr spannende Einblicke in das Wirken der kooperativen Forschung in Bremen.