Khaled ist in Bremen angekommen
Geschichte eines ehemaligen syrischen Flüchtlings, der jetzt Informatik an der Universität studiert
Khaled Swaidans Erkennungszeichen ist seine außergewöhnliche Haartracht. An der Seite hat sein Friseur, ein Türke aus der Bremer Neustadt, eine scheitelähnliche Schneise gefräst. Auf dem Oberkopf türmt sich eine ungewöhnlich hohe Tolle. „Die festige ich mit Spray“, sagt der Informatikstudent.
Khaled, dessen Name „Chaled“ mit einem gefauchten Anfangslaut ausgesprochen wird, kann sich ausgezeichnet auf Deutsch unterhalten. Er studiert Informatik im ersten Semester. Der 22-Jährige ist Absolvent des HERE-Vorbereitungsstudiums. Dahinter verbirgt sich die Abkürzung für Higher Education Refugees Entrance, ein gemeinschaftliches Programm der Bremer Hochschulen. Geflüchtete erlernen die deutsche Sprache und bereiten sich gleichzeitig auf ihr weiteres Studium vor. Khaled hatte Glück. Die Bremer „Jürgens-Stiftung – Chance auf ein neues Leben“ hat seine Bewerbung ausgewählt und ihm ein Stipendium bewilligt. „150 Euro erhalte ich im Monat von der Stiftung, dazu BaföG“, rechnet der Geflüchtete seine finanziellen Grundlagen auf.
Ein Stückchen alte Heimat in der Neustadt
Gemeinsam mit seinem Bruder, der 20 Jahre alt ist, in die 11. Klasse geht und das Abitur in Bremen ablegen will, hat er eine eigene Wohnung. In der Neustadt Nähe Hochschule. „Sie ist wirklich sehr schön“, schwärmt er. Die Miete hat bereits vor seinem Studium das Jobcenter übernommen. Der Bruder bekommt auch BaföG. „Es gefällt mir in Bremen, besonders in meinem Viertel“, schwärmt Khaled. „Die Türken haben eine ähnliche Kultur wie wir, manche sprechen auch arabisch.“ Und: Es gibt in dem Stadtteil mehr Moscheen als gedacht. Ein Stückchen Heimat also.
Alles verloren
Wie und wo hat er vorher gelebt? Sehnsucht trübt seine Augen. Er vermisst seine Eltern und seine beiden Brüder, die in dem kriegs-und krisengeschüttelten Land geblieben sind. Einst ging es ihnen gut. „Mein Vater hatte ein landwirtschaftliches Unternehmen“, sagt Khaled. „Wir haben auf hohem Standard gelebt.“ Mit seiner Abiturnote von 1,6 konnte er sein Traumfach Medizin an einer teuren privaten Hochschule studieren. „Ich werde Arzt und kann anderen helfen“, war damals seine Motivation. „Doch dann kam die Revolution und mein Vater hat seinen Besitz verloren“, klingt es traurig. Der Bruder ist als erster nach Europa geflüchtet, dann folgte Khaled. Er startete in Idlib, das im Nordwesten an der Grenze zur Türkei liegt.
Unglücklich in Bayern
Über die Flucht sagt Khaled nicht viel. Nur, dass er in der Türkei eine furchtbare Nacht hatte, weil der Bahnhof erst am Morgen öffnete und keine Unterkunft zu bekommen war. „Sieben Stunden bin ich herumgeirrt“, erinnert er sich. In einer Moschee durfte er ein bisschen schlafen. Das zweite schreckliche Erlebnis war auf einer griechischen Insel. Aber darüber will er nicht sprechen. Das Ziel war zunächst Bayern, ein kleines Dorf am Chiemsee. „In einem Haus lebten wir zu acht in vier Zimmern“, sagt der heutige Informatikstudent. Weit ab vom Schuss, nichts zu tun. „Klar haben wir uns geprügelt.“
Wohnung wie ein Wunder
Sechs Monate verbrachte er im Süden Deutschlands, ehe er zu seinem Bruder nach Bremen konnte. Dass er die Wohnung in der Neustadt gemietet hat, erscheint ihm immer noch wie ein Wunder. „Ich habe erfolglos mehr als 50 E-Mails geschrieben, bevor es geklappt hat.“ Besichtigung, Mietvertrag, das hat die Betreuerin vor Ort erledigt. Khaled und sein Bruder sind ihr sehr dankbar.
Knackpunkt: Aufgabenstellung verstehen
Nun muss er das Studium durchhalten. „Mir fällt es nicht schwer, Aufgaben zu lösen, mathematisch bin ich gut“, sagt der Stipendiat. Der Knackpunkt für ihn sind die Aufgabenstellungen. „Ich übersetze sie erst ins Englische und dann ins Arabische, um sie zu verstehen. Manchmal brauche ich dafür zwei Stunden.“ Auch dem Redefluss der Lehrkräfte in den Vorlesungen kann er nicht immer folgen. Doch Khaled Swaidan beißt die Zähne zusammen. Er weiß, dass er es schaffen muss. „Meine Eltern haben sich so große Sorgen gemacht und sind jetzt erleichtert, dass ich das Studium beginne. Ich habe jeden Tag Kontakt mit ihnen.“ Seine Vision: Die ganze Familie nachholen. Nach Bremen, wo er sich aufgenommen fühlt.
“Wir essen nur Ungesundes”
Der junge Mann, der sich als Familienmensch bezeichnet, drängt nun zum Aufbruch. „Ich will für meinen Bruder etwas kochen.“ Was gibt es? Kichererbsen, Lamm, Geflügel, Koriander, Kardamom, Granatäpfel? „Nicht, was Sie erwarten, wir essen nur Ungesundes“, lacht er.