Wer lesen kann, ist klar im Vorteil
In dieser neuen Serie stellen wir Menschen vom Campus und ihre Lektüre vor.
Das Büro von Literaturprofessor Axel Dunker ist – wie nicht anders zu erwarten – vollgestopft mit Büchern. Doch vor sich auf dem Tisch in seinem Zimmer im GW2 hat er ein einziges Exemplar. Dick und grün eingebunden. Peter Kurzeck: „Der vorige Sommer und der Sommer davor“. Es gehört zum riesigen Erzählzyklus „Das alte Jahrhundert“ des 2013 gestorbenen hessischen Autors. Und es ist 2019 posthum erschienen. Und Professor Dunkers aktuelles Lieblingsbuch.
Erzählen, um zu erinnern
„Licht, Süden, Landschaft, einzigartig ist die Sprache“, schwärmt der Bremer Germanist. Im Roman minutiöse Momentaufnahmen aus dem Frankfurter Stadtteil Bockenheim in Uni-Nähe und von Sommerreisen nach Südfrankreich. Letzteres eine erklärte Sehnsuchtsgegend von Professor Dunker. „Peter Kurzeck erzählt, um zu erinnern, um aufzubewahren. Im Buch sind es die frühen 1980er-Jahre, alles stark biographisch angehaucht.“ Der Stil? „Gegenstände entwickeln ein Eigenleben, jedes Detail wird genau beschrieben“, schwärmt er. Eine Melancholie, gespeist aus Trennungen von geliebten Menschen, liegt über dem Erzählten.
Page-99-Test
Wir machen auf Dunkers Vorschlag hin den berühmten Page-99-Test, den der englische Schriftsteller Ford Madox Ford „erfunden“ hat. Schlage ein Buch auf Seite 99 auf, und die Qualität wird deutlich. „In Barjac der Regenbogen. Im Juni zu ihnen hingetrampt, Sibylle, Carina und ich. Vier Tage gebraucht. Auf kleinen und immer kleineren Straßen von Dorf zu Dorf.“ Kein Wort zuviel, elliptische Verkürzungen, gefolgt von Aufzählungen im Stakkato wechseln sich ab. Keine Frage, dass die up2date-Redakteurin nach dem Gespräch sofort die Universitätsbuchhandlung am Boulevard gestürmt hat und das Buch erwarb. Seither abends kein Fernsehen mehr.
„Unfassbare Prosa“
Der Hamburger Schriftsteller Andreas Maier spricht in seiner Rezension in der Frankfurter Rundschau von „Unfassbarer Prosa. Jedes Jahr eines Büchner-Preises würdig.“ Literaturprofessor Axel Dunker hat Peter Kurzeck persönlich getroffen. „Nach einer Tagung in Flensburg habe ich ihn zu einer Lesung nach Bremen eingeladen. Danach haben wir uns hier im Viertel im Café Engel zusammengesetzt“, erzählt er. „Wir haben ausgiebig über Arno Schmidt geredet, und ich habe das Gespräch aufgezeichnet.“ Überhaupt seien Lesungen mit Peter Kurzeck unbeschreiblich gewesen. „Er hat erst gelesen, dann frei erzählt, das war faszinierend“, sagt Dunker über seinen Lieblingsautor. „Er hatte eine sehr eigene Art, die Stimme nie fallenzulassen am Ende eines Satzes.“ Dieser Fluss der komplexen Wahrnehmungen, wo eine in die andere übergeht, zeichnet auch die Bücher aus.
Mit Begeisterung und Leidenschaft
Man braucht doch aber sehr viel Zeit, um das mehr als 600 Seiten starke Sommerbuch zu lesen. Haben die Leute noch Zeit zum Lesen? Professor Dunkers Studierende zum Beispiel? „Das Verhältnis zum Lesen hat sich gegenüber früheren Zeiten nicht geändert“, ist der Germanist überzeugt. „Es gibt eine ganze Reihe Studierender, die mit Begeisterung und Leidenschaft dabei sind.“ Durch den Leistungsnachweis, der nach jeder Veranstaltung erbracht werden müsse, hätten sie allerdings kaum Zeit, frei zu lesen. „Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ mit mehreren tausend Seiten kann man nicht mehr behandeln.“ Uwe Johnsons vierbändiges Werk „Jahrestage“ habe er hingegen erst kürzlich mit einem engagierten Kurs besprochen.
Urlaub ohne Buch ist keiner
Für Professor Dunker selbst ist Lesen ein Grundbedürfnis. „. Ich brauche gute, komplexe Literatur und lese jeden Tag privat und beruflich. Das geht ineinander über.“ Drei Wochen Urlaub ohne Literatur wäre keiner. Auch nicht in Südfrankreich.
Mehr über das Buch:
Peter Kurzeck, “Der vorige Sommer und der Sommer davor”
Direkter Link zum Verlag Schöffling & Co.
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