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Korallenriffe in der Krise

Die Korallenriffe sind weltweit bedroht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Aber es gibt Hoffnung.

Forschung / Nachhaltigkeit

Klimawandel, Überfischung und Verschmutzung der Meere: Diese Faktoren tragen entscheidend dazu bei, dass weltweit nur noch weniger als 30 Prozent der Korallenriffe in einem guten Zustand sind. In diesem Artikel erfahrt ihr mehr über die Bedeutung und Bedrohung dieser Ökosysteme. Das ist auch das Thema der 14. und 15. Weltkorallenriffkonferenzen, die die Universität Bremen beide gerade organisiert.

Christian Wild beschäftigt sich mit seiner Arbeitsgruppe Marine Ökologie an der Universität Bremen seit vielen Jahren mit diesen sensiblen Ökosystemen. „Die aktuellen Zahlen zeigen eine dramatische Situation“, sagt der Wissenschaftler. Im Jahr 2016 fielen der letzten großen Korallenbleiche im australischen Great Barrier Reef etwa 30 Prozent der Steinkorallen zum Opfer. Kurz vor Ausbruch der COVID-19 Pandemie im Februar/März 2020 bleichten auch im bisher weitgehend vom Korallensterben verschonten Süden des Great Barrier Reef, die Steinkorallen großflächig aus. Damit spitze sich die bedrohliche Situation, für das mit etwa 2.600 Kilometern größte Korallenriff der Welt, weiter zu, so Wild. „Global sind 30 Prozent aller Korallenriffe schon zerstört, 40 Prozent massiv bedroht und nur noch 30 Prozent in einem vergleichsweise guten Zustand.“

CO2-Emissionen größte Gefährdung

Das Korallensterben hat sowohl globale als auch lokale Ursachen. „Die gefährlichste globale Bedrohung für die Existenz der Korallenriffe sind die überwiegend von den Industrieländern produzierten CO₂-Emissionen, die auch für den Klimawandel verantwortlich sind“, erklärt Wild. Die sensiblen Ökosysteme werden von den Treibhausgasen doppelt geschädigt. Zum einen sind Steinkorallen und ihre Symbionten sehr temperaturempfindlich. Eine Erhöhung von 1,5 Grad – das aktuelle Ziel des Pariser Klimaabkommen – gilt als Obergrenze für das Überleben vieler Arten. „Gleichzeitig kommt es zu einer sogenannten Ansäuerung des Meerwassers, da die Ozeane CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen“, so Wild. Dies beeinträchtigt die Bildung von stabilen Riffstrukturen aus Kalk durch Korallen. Die Folgen wären für den Küstenschutz fatal. Intakte Korallenriffe reduzieren 97 Prozent der Wellenenergie und 84 Prozent der Wellenhöhe. „Die zerstörerische Kraft von Sturmfluten wird um 50 Prozent gemindert. Mehr als 100 Länder wären direkt betroffen und würden ihren Küstenschutz verlieren.“

Tropische Korallenriffe bevorzugen das lichtdurchflutete flache Wasser zwischen dem 30. Breitengrad Nord und Süd.
© The Ocean Agency / Gregory Piper

500 Millionen Menschen hängen von Korallenriffen ab

„Küstenschutz ist nur einer der vielen Ökosystemdienstleistungen, die wir intakten Korallenriffen verdanken“, erläutert Dr. Sebastian Ferse. Er arbeitet am Bremer Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) mit der Universität Bremen zusammen und ist Mitglied im Organisationskomitee des 14. und 15. ICRS. Circa 500 Millionen Menschen in den Tropen hängen direkt oder indirekt wirtschaftlich von Korallenriffen ab. Auf etwa 10 Billionen US-Dollar pro Jahr wird der Wert ihrer Dienstleistungen geschätzt. Sie sind mit großem Abstand das ökonomisch bedeutendste Ökosystem der Erde. Ein gutes Beispiel ist die Tourismusindustrie. Jährlich besuchen zwei Millionen Menschen das Great Barrier Reef an der Ostküste Australiens. Dieser Rifftourismus trägt pro Jahr etwa 6,4 Milliarden Euro zur Wirtschaftskraft Australiens bei.

Ungefähr 70.000 Menschen verdanken dem Great Barrier Reef ihren Arbeitsplatz. In zahlreichen Entwicklungsländern, wie zum Beispiel in Ägypten, besitzt die Tourismusindustrie eine sogar größere Bedeutung. Noch wichtiger ist der Beitrag zur Ernährung der lokalen Bevölkerung. Fisch ist eine gesunde Eiweißquelle und auf tropischen Inseln und in Küstengebieten oft die einzige, die in ausreichender Menge und bezahlbar zur Verfügung steht. Etwa eine Milliarde Menschen ist auf Proteine aus der Küstenfischerei angewiesen. „Doch inzwischen sind Korallenriffen stark überfischt“, so Ferse. Die Folge: In 83 Prozent der befischten Riffe ist schon mehr als die Hälfte der normalerweise vorhandenen Biomasse verschwunden.

Hinzu kommt die intensive Nutzung küstennaher Gebiete. Riffe werden durch Hotels, Häfen und andere Infrastrukturen für Touristen belastet. Die Rodung tropischer Regenwälder, Rohstoffgewinnung in Minen und diverse andere Baumaßnahmen sind die Ursachen für starke Sedimenteinträge durch Wind, Regen und Flüsse. Zusätzlich gelangt jede Menge Müll ins Meer. Landwirtschaft und Aquakulturen fördern starkes Algenwachstum durch Überdüngung und bringen Pestizide ins Meer. Als Folge sinkt der Sauerstoffgehalt und die Korallen ersticken. „Diese lokalen Bedrohungen können für Korallenriffe ebenso gefährlich sein, wie die globalen“, erklärt Wild. Verschärft wird die Situation durch die demografische Entwicklung. Beispiel Philippinen: Um 1900 lebten auf dem tropischen Inselarchipel etwa zehn Millionen Menschen. Heute brauchen 100 Millionen Arbeit, Wohnraum und Nahrung. Der Druck auf alle Ökosysteme wird immer größer.

Lokale Bedrohungen sind gut beeinflussbar

Aktuell sind lokale Bedrohungen für die Zerstörung der meisten Korallenriffe der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich. „Dies klingt auf den ersten Blick sehr negativ, hat aber eine ganz entscheidende positive Seite“, erläutert Ferse. Lokale Bedrohungen sind leichter beinflussbar. Maßnahmen wie Bebauungsverbote, Schutzzonen, Fischereimanagement können schnell Erfolge zeigen und zu einer Erholung der Ökosysteme führen. Um dies zu erreichen, müssen nur wenige lokale Akteurinnen und Akteure überzeugt werden. Im Gegensatz dazu sind die CO₂-Emissionen wesentlich schwerer zu kontrollieren, da hierfür internationale Abkommen nötig sind.

Wer frisst wen? Überfischung trifft als erstes die großen Arten, wie den auf dem Foto zu sehenden Schwarzspitzen-Riffhai. Fehlen diese, verursacht dies schwere Schäden im Riff. Riffhaie regulieren in Korallenriffen die Bestände kleinerer Räuber, die überwiegend pflanzenfressende Fische jagen. Fehlen die Haie, nimmt die Zahl der kleinen Raubfische zu und der Bestand der Pflanzenfresser
ab. Die Korallen bekommen Probleme, sich gegen die konkurrierenden Algen zu behaupten. Das Riff stirbt langsam ab.
© Heinz Krimmer / ICRS

Größtes Kaltwasserriff der Welt im nördlichen Europa

Wie schwierig es trotzdem sein kann, lokale Bedrohungen einzudämmen, sieht man in Europa: Von der nordnorwegischen Küste, Richtung Süden, erstreckt sich in Tiefen ab etwa 200 Meter das größte Kaltwasserriff der Welt. Schleppnetzfischerei ist für diese Tiefseeriffe ebenso bedrohlich wie die Dynamitfischerei in den Tropen. Zurück bleibt ein einziges Trümmerfeld. Viele Tiefseeriffe wurden vermutlich zerstört, bevor sie entdeckt werden konnten. Trotzdem ist die Schleppnetzfischerei in ungeschützten Gebieten erlaubt. Kaltwasserkorallen kommen weltweit vor und wachsen überwiegend in der dunklen Tiefsee. Tropische Korallenriffe dagegen bevorzugen das lichtdurchflutete flache Wasser zwischen dem 30. Breitengrad Nord und Süd. Diese Regionen werden als „Wüsten der Meere“ bezeichnet, da sie sehr nährstoffarm sind. Lange Zeit konnten sich deshalb Meeresbiologinnen und -biologen nicht erklären, wie es für Steinkorallen möglich ist in diesen „Wüsten“ gigantische Riffkomplexe aufzubauen. Woher bekommen sie die Energie, um diese außerordentlich hohe Primärproduktion zu leisten? Dieses Riff- oder Darwin-Paradoxon, wie es auch genannt wird, konnte erst in den letzten Jahren erklärt werden. Die Entdeckung, wie Steinkorallen den lebensnotwendigen Stickstoff gewinnen, war hierfür ein wichtiger Schritt.

In dieser Karte sind weltweit die wichtigsten Korallenriffe und Riffgebiete eingezeichnet. Die grünen Korallensymbole zwischen dem 30. Breitengrad Nord und Süd stehen für die tropischen, die blauen für Kalt- und die schwarzen für fossile Korallenriffe. Das rote Dreieck markiert das Zentrum der Artenvielfalt der Ozeane: Das Korallendreieck.
© Heinz Krimmer / Kosmos Verlag

Forschungen an der Universität Bremen

Die Abteilung für Marine Ökologie von Professor Christian Wild arbeitet seit einigen Jahren an dem Thema, wie Steinkorallen Stoffkreisläufe beeinflussen können. Aktuell erforscht Dr. Yusuf C. El-Khaled die Auswirkungen des Klimawandels auf den Stickstoffkreislauf in Korallenriffsystemen. Eine bedeutende Folge der hohen Primärproduktion der Korallenriffe in diesen nährstoffarmen Zonen ist ihr Artenreichtum. Obwohl Korallenriffe nur auf 0,2 Prozent der Ozeanflächen der Erde existieren, leben in ihnen mehr als ein Drittel aller Fische und Wirbellosen der Ozeane. Diese Vielfalt macht sie auch interessant für die Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen. „Apotheke der Zukunft“ werden sie hoffnungsvoll genannt. Aktuell gibt es 13 Medikamente mit Wirkstoffen aus tropischen Riffen. Zahlreiche Stoffe, insbesondere in der Krebstherapie durchlaufen gerade das Zulassungsverfahren. Diese Nutzung schadet den Riffen nicht. Einmal entdeckt, werden die Wirkstoffe im Labor mit Hilfe biotechnologischer Verfahren oder synthetisch hergestellt. Fest steht: Korallenriffe gehören zu den bedeutendsten Ökosystemen und ihr Schutz sollte eine hohe Priorität haben. Aktuell findet man die überwiegende Mehrheit der intakten Korallenriffe in für Menschen schwer zugänglichen Gebieten oder sie befindet sich in Schutzgebieten. „Streng geschützte Meeresnationalparks sind aktuell das effektivste Mittel, um diese Ökosysteme vor Raubbau zu bewahren und das Artensterben aufzuhalten“, so Wild.

Bedrohung für tropische Korallenriffe

Es hat auch den Anschein, dass geschützte Riffe widerstandsfähiger gegen Auswirkungen des Klimawandels sind, als jene, die menschlichen Einflüssen ausgesetzt sind. Hier sind jedoch weitere wissenschaftliche Untersuchungen nötig. Auch auf diesem Feld ist Wilds Arbeitsgruppe tätig. Dr. Anna Koester untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Korallenriffe des von Menschen weitgehend unberührten Aldabra Atolls in den Seychellen.

Für die nahe Zukunft sind die Erderwärmung und Ozeanversauerung jedoch die größten Bedrohungen für tropische Korallenriffe. „Nur, wenn das Ziel erreicht wird, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase nachhaltig zu reduzieren, kann der Schaden für die tropischen Korallenriffe zumindest begrenzt werden“, sagt Wild. Vielleicht können einige Korallenriffe in ihrer Pracht erhalten werden. Denn der Klimawandel wirkt sich lokal sehr unterschiedlich aus, da geologische oder physikalische Gegebenheiten die Folgen verstärken oder abmildern. Auch sind manche Steinkorallen widerstands- und anpassungsfähiger als andere.

All diese Themen und vor allem Lösungsansätze, um die weltweite Korallenriffkrise zu entschärfen, sind Themen des aktuellen 14. und folgenden 15. International Coral Reef Symposiums (ICRS), die in diesem Jahr virtuell und 2022 in Präsenz von der Universität Bremen organisiert werden.

Weitere Informationen:

In diesem up2date.-Artikel erfahrt ihr mehr zum aktuellen International Coral Reef Symposium in Bemen (ICRS).

www.icrs2021.de

www.uni-bremen.de/marine-ecology

www.leibniz-zmt.de

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