Neue Forschungsgruppe zu Tier- und Tierschutzrecht an der Universität Bremen
Womit beschäftigt sie sich? Ein Interview mit dem Leiter Professor Sönke Florian Gerhold.
Im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen gibt es seit kurzem eine neue Forschungsgruppe: Professor Sönke Florian Gerhold und seine Mitarbeitenden arbeiten zu Themen rund um das Tier- und Tierschutzrecht. Mit ihrer Arbeit wollen Sie unter anderem Gesetzeslücken identifizieren und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, wie diese geschlossen werden können. Auch ist es ihr Ziel, ein Band zwischen den allgemeinen Lehren des Strafrechts und dem Tierschutzrecht als Spezialmaterie zu knüpfen.
Herr Gerhold, welche Ziele verfolgt Ihre neue Forschungsgruppe?
Wir wollen rechtswissenschaftliche Erkenntnisse in den Themenfeldern Tierrechte, Tierschutzrecht sowie Recht der Tierschützer:innen und Tierschutzorganisationen erzielen. Uns ist es wichtig, neue Diskussionen anzustoßen und begonnene Diskussionen wissenschaftlich zu begleiten und zu bereichern. Wissenschaft und Rechtspraxis haben sich den genannten Themen bislang eher am Rande gewidmet. Es handelte sich quasi um eine Spezialmaterie, die den meisten Jurist:innen unbekannt ist. Von Verlagen habe ich bereits großes Interesse an diesen Forschungsgegenständen signalisiert bekommen. Auch diese sehen einen großen Bedarf an Veröffentlichungen.
Mit welchen konkreten Inhalten befassen Sie sich?
Im ersten Jahr behandelt die Forschungsgruppe zum Beispiel die Themen „Unterlassungsstrafbarkeiten zu Lasten von Tieren“, „Jagd auf Kormorane“ und „Veganismus im Lichte von Art. 4 GG“.
Was kann man sich darunter konkret vorstellen? Können Sie uns ein Beispiel geben?
Aber gerne! Stellen Sie sich vor, ein Rehbock hat versucht, einen Stacheldrahtzaun zu überspringen und sich dabei im Stacheldraht verfangen. Er ist offensichtlich verletzt und kann sich nicht aus eigener Kraft befreien. Ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger erkennt die Notlage des Tieres. Ist er nun rechtlich verpflichtet, die verantwortliche Person – also die Jagdpächterin/den Jagdpächter oder die Eigenjagdbesitzerin/den Eigenjagdbesitzer – zu verständigen oder das Tier aus seiner Lage zu befreien, oder darf er einfach vorübergehen? Wie verhält es sich mit der Jagdpächterin/dem Jagdpächter eines anderen Reviers, die/der vorbeikommt, und wie mit der/dem Jagdausübungsberechtigten selbst, wenn sie/er informiert wird? Diese und vergleichbare Fragen sind bislang nicht zufriedenstellend beantwortet, obwohl sich vergleichbare Sachverhalte täglich ereignen und die entscheidenden Fragen dem Kernbereich der Strafrechtsdogmatik zuzuordnen sind.
„Abhängig von der Fragestellung werden Kooperationspartner:innen aus den Bereichen der Biologie, der Veterinärmedizin, der Soziologie oder sonstigen verwandten Disziplinen beteiligt.“
Wer forscht an den einzelnen Projekten?
Mitglieder der Forschungsgruppe sind zurzeit zwei wissenschaftliche Mitarbeitende, eine studentische Hilfskraft und ich. Alle Mitglieder der Forschungsgruppe sind dem Fachbereich Rechtswissenschaft zuzuordnen. Es entstehen sowohl interne als auch externe Dissertationen und natürlich auch weitere Publikationen – zum Beispiel Aufsätze in Fachzeitschriften. Abhängig von der konkreten Fragestellung werden Kooperationspartner:innen aus den Bereichen der Biologie, der Veterinärmedizin, der Soziologie oder sonstigen verwandten Disziplinen beteiligt.
Auch innerhalb der Universität Bremen?
Da die Forschungsgruppe erst mit Wirkung zum 1. April 2022 eingerichtet worden ist und die Mitarbeitenden ihre Arbeit erst mit Wirkung zum 15. Mai aufnehmen konnten, haben wir noch keine Kooperationspartnerschaften begründen können. Zunächst standen dringlichere Gesichtspunkte auf der Agenda und es gab viel zu organisieren. Über Kooperationen auch innerhalb der Universität Bremen würden wir uns jedoch sehr freuen! Wir haben die Hoffnung, dass die Universität Bremen eine langfristige und führende Rolle im Bereich der Forschung zum Tierschutzrecht in einem weiten Sinne einnehmen wird.
„Ergebnisoffene Forschung ist eine zentrale Voraussetzung jedweder Förderung. Einflussnahmeversuche auf Forschungsinhalte und -ergebnisse wären ein Grund zur Beendigung jeder Kooperation.“
Durch die Medien ging kürzlich die Nachricht, dass die Tierschutzorganisation PETA Ihre Forschungsgruppe finanziell unterstützt. Hier tauchte immer wieder die Frage auf, wie unabhängig Sie forschen können.
Grundsätzlich gilt: Ergebnisoffene Forschung ist eine zentrale Voraussetzung jedweder Förderung. Einflussnahmeversuche auf Forschungsinhalte und -ergebnisse wären ein Grund zur Beendigung jeder Kooperation. Das gilt für privatwirtschaftliche Förderung ebenso wie für staatliche. Deshalb kann ich sagen, dass meine Forschungsgruppe vollständig unabhängig und unbeeinflusst forscht. PETA gibt lediglich Anregungen, welche Themen die Praxis bewegen. Ein Anspruch auf Bearbeitung dieser Themen besteht nicht.
Worum geht es in dem Projekt, das PETA unterstützt?
PETA unterstützt die an der Forschungsstelle für Tier- und Tierschutzrecht angesiedelte Forschungsgruppe für Tier- und Tierschutzrecht, die rechtswissenschaftlich-dogmatische Forschung zum Tier- und Tierschutzrecht betreibt, sich also mit den vorhandenen Gesetzen und ihrer Interpretation beschäftigt, und sich darüber hinaus mit Frage der Tierethik befasst. Ein ebenfalls von mir durchgeführtes empirisch-kriminologisches Forschungsprojekt zur Wildartenkriminalität wird im Rahmen der Förderrichtlinie EURENI vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit unterstützt. Weitere Kooperationspartner:innen sind willkommen.
„Selbstverständlich fließt unsere wissenschaftliche Arbeit auch unmittelbar in die Lehre ein.“
Wie profitieren Studierende von Ihrer Forschungsarbeit?
Selbstverständlich fließt unsere wissenschaftliche Arbeit auch unmittelbar in die Lehre ein. Dabei vermitteln wir in erster Linie die Grundlagen des Tierschutzrechtes. Dieses ist nicht Gegenstand der Pflichtfachlehre. Insofern können bei den Studierenden keinerlei Kenntnisse vorausgesetzt werden. Der Schwerpunkt der Wissensvermittlung liegt auf der Auslegung und praktischen Anwendung der Strafnorm des § 17 Tierschutzgesetz. Die Norm betrifft das Verbot, ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund zu töten oder diesem Schmerzen oder Leiden zuzufügen. Schon in diesem Sommersemester findet ein erstes Seminar zum Tierschutzrecht statt. Das Seminar ist sehr gut besucht und stößt bei Studierenden auf großes Interesse.
Sie sind Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Medienstrafrecht und Strafvollzugsrecht. Was motiviert Sie, sich mit dieser Thematik zu befassen?
Das Thema Tierschutzrecht hat mich schon immer interessiert und zwar insbesondere auch aus fachlichen Gründen. Für Querschnittsmaterien, die verschiedene Rechtsbereiche berühren, fühlt sich keins der klassischen juristischen Fächer verantwortlich, also in diesem Fall weder das Strafrecht noch das Verwaltungsrecht. Das bedeutet eine Entkopplung von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Entwicklung des jeweiligen Querschnittsbereichs, der früher oder später nicht mehr dem Stand der Forschung in den Kernfächern entspricht. Aus diesem Grund gibt es auch im Tierschutzrecht viele fragliche Rechtsfiguren. Dies war mir konkret im Zusammenhang mit dem Tierschutzgesetz bereits bei der Suche nach meinem eigenen Dissertationsthema aufgefallen. Als ich jedoch meine wissenschaftliche Laufbahn begann, gab es für mich keine vernünftige Möglichkeit, in diesem Bereich zu promovieren oder zu habilitieren, da in Deutschland schlicht keine Professuren für Tierschutzrecht existieren. Für die eigene Qualifikation war der Bereich insofern zu eng. Nun, da ich bereits eine Professur innehabe, kann ich diesen Fragen jetzt ohne Risiko für die eigene berufliche Zukunft nachgehen und ich freue mich schon sehr auf den Erkenntnisgewinn.
Weitere Informationen
Hier geht es zur Webseite von Professor Sönke Florian Gerhold.