up2date. Das Onlinemagazin der Universität Bremen

Sommerunis für mehr Geschlechtergerechtigkeit

Mit der Informatica Feminale und der Ingenieurinnen-Sommeruni bietet die Universität Bremen interessierten Frauen ein einzigartiges Format

Forschung

Noch bis Ende dieser Woche kommen rund 200 Informatikerinnen und Ingenieurinnen im Mehrzweckhochhaus (MZH) der Universität Bremen zusammen. Auch in ihrer bereits 28. Auflage bietet die Informatica Feminale gemeinsam mit ihrer Schwesterveranstaltung, der Ingenieurinnen-Sommeruni, wieder eine besondere Lernatmosphäre, die Frauen aus aller Welt zusammenbringt. Egal ob Studentin, Angestellte in einem Industrieunternehmen oder Wissenschaftlerin – die Teilnehmerinnen nutzen die drei Wochen zum Lernen, Austausch und Netzwerken. Der Hintergrund: mehr Geschlechtergerechtigkeit in technischen Berufen erreichen.

Eine gespannte Erwartung liegt in der Luft. Im Seminarraum in der ersten Etage des MZH werden hier und da Stühle zurechtgerückt. Zwei junge Frauen fallen sich zur Begrüßung in die Arme. Einige Nachzüglerinnen bahnen sich mit Kaffeebechern in der Hand einen Weg durch die Menge, auch sie wollen die feierliche Eröffnung der Sommerunis auf keinen Fall verpassen. Die Bremer Informatikerin Veronika Oechtering, Mit-Gründerin dieses besonderen Formats, schnappt sich das Mikro – und dankt gleich nach der offiziellen Begrüßung erstmal den studentischen Hilfskräften, die das Tagungsbüro managen. Ungewöhnlich, aber irgendwie auch typisch für dieses Format: Hier wird jede gesehen und wertgeschätzt.

Zwei Frauen lächeln in die Kamera
Die Hauptverantwortlichen der Sommerunis: Veronika Oechtering (links) und Henrike Illig vom Kompetenzzentrum Frauen in Naturwissenschaft und Technik der Universität Bremen
© Birgit Wingrat / Universität Bremen

Vor allem gibt es im Laufe der Eröffnungsfeier viel Lob für die Sommerunis, die in dieser Größe und Ausrichtung deutschlandweit einzigartig sind. Dr. Anne Baumann, die die Teilnehmerinnen im Namen der Bremer Staatsrätin für Umwelt, Klima und Wissenschaft begrüßt, nennt die Sommeruni einen „Exportschlager“ Bremens. In Süddeutschland und Österreich gibt es nach dem Bremer Vorbild zwei weitere Sommerunis. Dr. Mandy Boehnke, Konrektorin für Internationalität, wissenschaftliche Qualifizierung und Diversität der Universität Bremen, hebt in ihrer Begrüßungsrede hervor, wie wichtig es sei, Frauen in der Wissenschaft und in technischen Berufen zu stärken.

Intensive Lehre in Kleingruppen

Genau das passiert in den insgesamt rund 60 Lehrveranstaltungen, die in der Regel weit im Voraus ausgebucht sind. Ein Großteil der Teilnehmerinnen kommt für die Sommerunis extra nach Bremen. Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern, aber auch aus Costa Rica, Tunesien, den USA und Afrika sind dabei. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Für Studentinnen ist sicherlich ein Faktor, dass sie Credit Points erwerben können. Aber das ist längst nicht alles. „Wir bieten eben Themen an, die besonders reizvoll sind“, erläutert Henrike Illig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Frauen in Naturwissenschaft und Technik der Universität Bremen und organisiert die Sommerunis gemeinsam mit Veronika Oechtering. Das Themenspektrum ist weit gefächert, es reicht von Datenbanken über Betriebssysteme und Programmierkurse bis hin zum Software Engineering. Aber auch Themen wie Erneuerbare Energien oder Nachhaltigkeit und Technologie sind als Brückenthemen zwischen Informatik und Ingenieurwesen dabei.

Ein weiteres Merkmal der Sommerunis sei die intensive Lernsituation, die insbesondere über die kleine Gruppengröße von bis zu zwölf Personen zustande komme. „Unser Setting ist Monoedukation, es sind also nur Frauen im Raum. Die Teilnehmerinnen konzentrieren sich auf den Fachaustausch“, hat Illig immer wieder beobachtet.

Ethisches Hacken als Berufsbild

Das kann Marie Caroline Oetzel nur bestätigen. Die Professorin für IT-Sicherheit von der Technischen Hochschule Aschaffenburg bietet zum dritten Mal eine Veranstaltung im Rahmen der Sommeruni an. „Das ist ein sehr interessantes Environment hier. Ich komme immer wieder gern, obwohl ich mir das hart aus meiner knappen Zeit herausschneiden muss“, sagt sie. In diesem Jahr geht es in ihrem Kurs um „Penetration Testing and Ethical Hacking for Beginners“. Die zwölf Teilnehmerinnen versuchen sich als Hackerinnen. Die Aufgabe: In ein geschütztes System einzudringen – natürlich innerhalb einer Laborumgebung. In der Realität werden solche ethischen Hacker:innen beispielsweise von Unternehmen beauftragt, um Schwachstellen aufzudecken.

„Die IT-Sicherheit ist ein Bereich der Informatik, der sehr klar von Männern dominiert wird“, erklärt die Professorin. Frauen hätten häufig Respekt vor der technischen Hürde und würden sich das oft nicht zutrauen. „Ich will zeigen, dass Frauen sehr gut in der IT-Sicherheit arbeiten können. Bei mir erfahren sie am eigenen Leib, wie einfach IT-Systeme teilweise ausgetrickst werden können, aber auch an welchen Stellen es schwierig wird. Das bringt sie nicht nur fachlich weiter, sondern sorgt auch für mehr Selbstvertrauen“, ist Professorin Oetzel überzeugt.

Eine Frau lächelt in die Kamera
Marie-Caroline Oetzel möchte die Teilnehmerinnen in ihren Kursen ermuntern, sich selbstbewusst auch technisch komplizierten Anforderungen zuzuwenden.
© Birgit Wingrat / Universität Bremen

Ihrer Erfahrung nach öffnen sich die Teilnehmerinnen im Laufe der Veranstaltung zunehmend. Die gemeinsame Herausforderung des Hackens lasse schnell Brücken entstehen. Da ergebe es sich, dass auch über andere Themen gesprochen werde – beispielsweise Tipps zur Karriereplanung in der IT, den Umgang mit sehr selbstbewussten männlichen Kollegen oder Vorurteilen gegenüber Frauen in technischen Berufen.

Bereits zum neunten Mal ist Tanja Hanauer aus München als Dozentin bei den Sommerunis dabei. Sie kommt aus der freien Wirtschaft. Als promovierte Informatikerin verbessert sie die Informationssicherheit in der Automobilwirtschaft. Warum sie der Sommeruni so treu ist? „Das ist ein total wahnsinniger Ort hier, im positivsten Sinne“, sagt sie. „Hier kommst du mit Frauen zusammen, die schon vor 30 Jahren in den technischen Berufen ihre Pflöcke eingeschlagen haben. Das sind sehr spannende Gespräche.“ Ein weiterer Pluspunkt: Die hohe Motivation der Teilnehmerinnen. „Alle wollen wirklich etwas machen, das ist überall spürbar“, ergänzt sie.

Bequemlichkeit und IT-Security vereinen

Die Bereitschaft, auch schwierige Themen anzugehen, hat sie erst heute in ihrer Lehrveranstaltung erlebt. Das Thema: Aufbau einer Sicherheitsstruktur für ein großes Unternehmen. Die Teilnehmerinnen kamen schnell auf die größte Schwachstelle eines jeden IT-Sicherheitssystems zu sprechen: Die Bequemlichkeit der Nutzer:innen, die „nur mal eben“ etwas erledigen wollen und die Sicherheitsvorkehrungen kurzerhand umgehen. „Wir haben diskutiert wie wir damit umgehen können, wie also Bequemlichkeit und IT-Security miteinander vereint werden können. Das ist nicht mal eben lösbar, da muss knallhart priorisiert werden,“ erklärt Hanauer.

Eine Frau lächelt in die Kamera
Dozentin Tanja Hanauer ist begeistert von der hohen Motivation der Teilnehmerinnen.
© Birgit Wingrat / Universität Bremen

Und was sagen die Teilnehmerinnen? Mira ist aus der Schweiz nach Bremen gekommen. Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Ingenieurin in der Produktionstechnik, wo Datenanalysen auch eine sehr große Rolle spielen. „Ich habe mir ein Sabbatical genommen, um herauszufinden, was ich mit der zweiten Hälfte meines Berufslebens anfangen will“, sagt sie. Schon als Kind habe sie von ihrem Vater programmieren gelernt. In all den Jahren als Ingenieurin habe sie die Informatik nie so ganz losgelassen. „Für mich passt die Sommeruni geradezu perfekt, denn hier kann ich ausprobieren, ob die Informatik wirklich für mich taugt.“

Informatikstudium ist wahrscheinlicher geworden

Gleich vier Kurse hat Mira gebucht. Die Projektarbeit zu Big Data und Datenbanken hat sie fast abgeschlossen. In den verbleibenden Tagen der Sommeruni will sie sich dann noch mit Natural Language Processing beschäftigen und lernen, wie man einen Chatbot baut. Ihr Zwischenfazit: „Also ich komme bisher sehr gut mit und es macht viel Spaß. Das Tolle ist die Atmosphäre hier. Es gibt keinen Wettbewerb untereinander, es ist viel eher so, dass wir uns gegenseitig inspirieren.“ Der Kontakt komme ganz ungezwungen zustande, dabei würden natürlich auch die Abendveranstaltungen und Exkursionen helfen. Die Sommeruni habe ihr Informatikstudium ein wenig wahrscheinlicher gemacht – vielleicht sogar an der Universität Bremen? „Das weiß ich alles noch nicht, aber auf jeden Fall habe ich einen sehr guten Eindruck von der Universität und den engagierten Menschen hier gewonnen. Ja, ich könnte mir das vorstellen.“

Ein paar Tage unter Gleichgesinnten

Sophie Teichmann von der TU Dresden ist ebenfalls bei den diesjährigen Sommerunis dabei – bereits zum zweiten Mal. In den vergangenen Tagen hat sie erfahren, wie Rechner in Netzwerken kommunizieren und welche Protokolle dafür genutzt werden. Es wurde auch praktisch: „Wir haben einen Rechner komplett auseinandergenommen und Netzwerkkabel selbst gecrimpt. Das war so schön haptisch“, erzählt die junge Frau. „Es ist wieder eine sehr schöne, offene Atmosphäre. Ich finde gut, dass es hier auch Raum für vermeintlich doofe Fragen gibt. Das tut einfach gut, mal ein paar Tage unter Gleichgesinnten zu sein“, bilanziert sie.

Sophie Teichmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Center for Scalable Data Analytics and Artificial Intelligence Dresden/Leipzig“, einem der fünf führenden KI-Zentren Deutschlands. Ein Weg, den sie sich ohne ihre erste Sommeruni-Teilnahme 2018 wohl nie hätte vorstellen können. „Die Wochen in Bremen haben mir damals definitiv die Informatik-Tür geöffnet“, erinnert sie sich. Der Schulunterricht in Informatik habe nicht ausgereicht, um ihr Interesse zu wecken. Sie entschied sich nach dem Abitur für ein Physik-Studium. Doch irgendwie hatte sie es schon immer gewusst und die Sommeruni hat es ihr klar vor Augen geführt: Die Informatik und die Physik gehen gut Hand in Hand.

Die Informatica Feminale und Ingenieurinnen-Sommeruni:

Eine Gruppe von Informatikerinnen der Universität Bremen hatte 1992 die Idee, ein Format zu etablieren, das die ungleichen Geschlechterverhältnisse im Studium und im Fach verändern sollte. Unterstützt wurden sie dabei vom bundesweiten Informatikerinnen-Netzwerk, insbesondere der Fachgruppe Frauenarbeit und Informatik der Gesellschaft für Informatik. Am 1. Mai 1997 konnte die erste Sommeruniversität starten. Seit 2000 ist sie ein dauerhaftes Lehrangebot des Fachbereichs Mathematik und Informatik der Universität Bremen und wird über das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern sowie der Universität Bremen finanziert. Die Fachgesellschaft Informatik hat dem Format von Beginn an eine Empfehlung ausgesprochen. Der Fakultätentag Informatik zeichnete die Informatica Feminale 2023 mit dem Gleichstellungspreis aus. 2005 entstand an der Universität Bremen die Ingenieurinnen-Sommeruni. Seit 2009 findet sie regelmäßig gemeinsam mit der Informatica Feminale statt.

Weitere Informationen:

Webseite der Informatica Feminale

Webseite der Ingenieurinnen-Sommeruni

zurück back


Auch interessant…

Universität Bremen