Sportstudium an der Uni Bremen: Professorin Ina Hunger
Ina Hunger baut den Sportstudiengang an der Uni Bremen auf und weiß, wie guter Sportunterricht aussieht
An der Universität Bremen kann man bald wieder Sport auf Lehramt studieren. Im kommenden Wintersemester fangen 60 Studierende an. In vier Jahren sollen es schon 400 Studierende sein. Ina Hunger ist seit April Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik am Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften. Sie kümmert sich gemeinsam mit ihrem Team um den Aufbau des Studiengangs.
Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? Wie baut man einen Sportstudiengang auf?
Unser Ziel ist es, Studierende in Bremen so auszubilden, dass sie die kommenden Generationen von Schüler:innen an die vielfältigen Sport- und Bewegungskulturen heranführen und sie durch Sport und Bewegung in ihrer Bildung und Entwicklung fördern. Das sollen sie fachlich fundiert, in der Sache engagiert und für die Unterschiedlichkeit der Schüler:innen sensibilisiert realisieren können. Um diese Ziele zu erreichen, haben wir erst für die Studierenden entsprechende Themen und innovative Veranstaltungen im Bereich von Theorie und praktischer Erprobung konzipiert. In einem weiteren Schritt haben wir dann - mit Unterstützung der Verwaltung – unsere Konzeption der Studiengänge mit den universitätsinternen Vorgaben und mit den Vorgaben der KMK abgeglichen und in eine Modulstruktur überführt.
Können Sie auch auf vorhandene Strukturen zurückgreifen, schließlich gab es ja schon mal Sport an der Uni Bremen.
Was die sportwissenschaftlichen Studiengänge betrifft, ein klares Nein. Aber das ist ja auch der Reiz eines Neuaufbaus. Vorhandene Studienstrukturen würden schnell dazu verleiten, als Spurrillen zu dienen und diese unreflektiert (oder auch aus Bequemlichkeit oder Hasenfüßigkeit) weiterzuführen. Unser Anspruch ist es, nach vorne zu denken und zu fragen: Wie muss ein Sportunterricht in Zeiten von sozialer Diversität, sportlicher Vielfalt, Digitalität und psycho-physischen Herausforderungen aussehen? Welches fachliche Fundament, welche Innovationsbereitschaft und Flexibilität müssen wir bei den Studierenden anlegen?
Wie sollte guter Sportunterricht sein?
Ein guter Sportunterricht muss allen Schüler:innen ermöglichen, die Vielfalt unserer Sport- und Bewegungskultur kennenzulernen und ihren eigenen Zugang zu Sport und Bewegung zu finden. Ein guter Sportunterricht zeigt Heranwachsenden, dass es befriedigend sein kann, sich körperlich anzustrengen und sich zu verbessern, dass es Spaß machen kann, mit anderen zu spielen oder sich zu vergleichen, dass es schön sein kann, seinen Körper in Anspannung oder Entspannung zu spüren. Ein guter Sportunterricht leistet in diesem Sinne einen wertvollen Beitrag zur Bildung, Erziehung, Freizeitgestaltung und zum Wohlbefinden von Heranwachsenden. Allerdings stellen sich diese Momente nicht automatisch ein.
„Ein guter Sportunterricht leistet in diesem Sinne einen wertvollen Beitrag zur Bildung, Erziehung, Freizeitgestaltung und zum Wohlbefinden von Heranwachsenden.“
Weil nicht alle sportlich sind?
Nein, weil didaktische oder pädagogische Fehler von den Verantwortlichen gemacht werden oder auch weil Mitschüler:innen unsensibel sind, auslachen, mobben etc. Die Schuld sollte nicht bei denen gesucht werden, die vermeintlich nicht sportlich sind. Aufgabe des Sportunterrichts ist es ja, eben solche Heranwachsenden an Sport heranzuführen und ihnen zu zeigen, dass in unserer breiten Sport- und Bewegungskultur auch etwas für sie dabei ist.
Im übrigen gibt es ja auch nicht „den Sport“. Sport wird immer von den Verantwortlichen aufbereitet. Und so kann Sport eben auch zu Scham, Angst und Unwohlsein führen. Sei es, dass Kinder durch entsprechende Maßnahmen bloßgestellt werden, zum Beispiel durch öffentliche Mannschaftswahlen oder Vorturnen. Sei es, dass Methoden gewählt werden, die ihre körperlichen Unzulänglichkeiten in Szene setzen oder Angebote gemacht werden, die sie schlichtweg überfordern. Sport hat in der Regel immer ganz unmittelbare Auswirkungen auf die Psyche und die Physis – im guten wie im schlechten Sinne. Genau das ist der Grund, warum es an Schulen, wo Sport nicht freiwillig ist, fachlich sehr gut ausgebildeter und reflektierter Lehrkräfte bedarf.
Was machen Lehrkräften häufig falsch? Setzen sie zu viel voraus? Legen sie die Latte zu hoch?
Häufig berücksichtigen die Lehrkräfte nicht hinreichend, dass die Schüler:innen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in den Sportunterricht kommen. Das führt zu Frust.
Welche Rolle spielt Diversität heute im Sportunterricht?
Wir haben in den Klassen heute eine sehr große Diversität. Manche Kinder sind schon in jungen Jahren Sportcracks und beherrschen mehrere Sportarten, andere haben in ihren Familien keinerlei Zugang zu Bewegung oder Sport erfahren oder sind im negativen Sinne vorbelastet. In den Klassen sind die Schüler:innen sowohl körperlich als auch psychosozial unterschiedlich belastbar. Sie kommen aus verschiedenen Kulturkreisen, in denen das Thema „Körper“ unterschiedlich verhandelt wird. Sie haben – mit Blick auf inklusive Beschulung – verschiedene (attestierte) Förderbedarfe oder Behinderungen. Mit dieser Diversität gilt es umzugehen und den Auftrag des Sportunterrichts so zu erfüllen, dass ALLE davon profitieren.
Sie forschen zu (früh)kindlicher Bewegungssozialisation. Worum geht es da?
Was die frühkindliche Bewegungssozialisation betrifft, forsche ich unter anderem zur Frage, wie gehen Eltern im Alltag eigentlich mit Bewegung ihrer kleinen Kinder um. Inwiefern wird das kindliche Bedürfnis nach Bewegung befriedigt, gefördert, reglementiert oder stillgelegt – und was sind die Hintergründe für das jeweilige elterliche Verhalten? Inwiefern wird auf das Bewegungsverhalten von Mädchen und Jungen unterschiedlich reagiert?
Was haben Sie herausgefunden?
Wir stellen hier fest, dass - milieuübergreifend - Jungen nach wie vor im Bereich von Körper, Bewegung und Sport zu Risiko, Leistungsbereitschaft und Dominanz aktiv herausgefordert und bestärkt werden. Bei Mädchen wird im Vergleich eher auf Kooperationsbereitschaft gesetzt. Und allgemein können wir sagen, dass bildungsferne und ökonomisch benachteiligte Eltern ihre Kinder heutzutage wenig bewegungsaktiv sozialisieren. Bildungsnahe Familien suchen dagegen ganz gezielt Möglichkeiten auf, ihre Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern. Sie sehen in Bewegung und Sport eine besondere Chance, Persönlichkeit, Gesundheit etc. zu fördern und nehmen entsprechende Möglichkeiten im Alltag wahr. Die Unterschiede, wie Familien mit frühkindlicher Bewegung umgehen sind frappierend. Die Unterschiede ihrer Lebensbedingungen allerdings auch.
Unsere Analysen führen also unter anderem auch zu Antworten auf die Frage, welche Kinder aus welchen sozialen Milieus von der entwicklungsförderlichen Bedeutung von Bewegung profitieren bzw. nicht profitieren und erlauben Empfehlungen zur Erhöhung von Teilhabechancen.
Ein weiteres Forschungsthema sind die gesundheitliche Herausforderungen Heranwachsender
Ja, da beschäftige ich mich zum Beispiel mit Fragen, wie sich Sport bzw. Körpernormen repressiv verselbstständigen, also sukzessive für Einzelne zu einer Last werden. Wie kommt es zum Beispiel, dass Jungen in der Pubertät plötzlich anfangen zu „pumpen“ und dann irgendwann leistungssteigende Mittel nehmen? Es geht bei meinen gesundheitsbezogenen Arbeiten aber auch darum, Kinder, die in der Entwicklung auffällig erscheinen, über spezifisch aufbereitete Bewegungsangebote in ihrem Hier und Jetzt und in ihrer Entwicklung zu fördern. Unsere Arbeit ist hier psychomotorisch angelegt, das bedeutet wir beziehen Körper und Psyche mit ein. Wir entwickeln auch Angebote, um Kinder, die zum Beispiel stark übergewichtig sind oder sonstige Gründe haben, sich nicht an öffentlichen Sportangeboten zu beteiligen, lustvoll an Bewegung heranzuführen.