Straßenbahn misst Luftverschmutzung in Bremen
Wo genau steckt zu viel gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid (NO2) in der Bremer Luft? Ein Messgerät der Universität Bremen fährt auf einer Tram mit, um das herauszufinden.
Doktorandin Kezia Lange vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen ist sich sicher: Sie ist die einzige Forscherin deutschlandweit, die eine Straßenbahn nutzt, um im Bereich der atmosphärischen Fernerkundung Daten über die Luftqualität einer Großstadt zu sammeln. Denn Bremen hat einen großen Vorteil gegenüber den meisten anderen Ballungsräumen: In der Hansestadt fährt die Tram in viele Winkel der Stadt – und das komplett oberirdisch. Einfach ideal, um ein selbstkonstruiertes Messgerät mit integriertem Spektrometer auf dem Dach zu montieren.
Dass ein Messgerät auf einer Straßenbahn herumfährt, um die Luftqualität in verschiedenen Stadtteilen zu erfassen, ist auch für Laien gut verständlich und damit als Thema absolut partytauglich. Unter dieser Forschung können sich alle etwas vorstellen. Dennoch kommt die 31-jährige Physikerin um neugierige Nachfragen nicht herum. Und ganz so trivial ist ihr Vorhaben bei genauerer Betrachtung natürlich nicht. Immerhin steht es im Zusammenhang mit einem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Aber alles der Reihe nach.
Am Anfang stand – wie so häufig – ein Geistesblitz. Den hatte Dr. Andreas Richter, Leiter der Arbeitsgruppe für differentielle optische Absorptionsspektroskopie, kurz DOAS, am Institut für Umweltphysik der Uni Bremen. Richter ist der Betreuer der Doktorarbeit von Kezia Lange. Er hatte mit ihr das Thema der Arbeit besprochen und mitüberlegt, wie es umgesetzt werden könnte. Seine Idee: Warum nicht ein Verkehrsmittel für die Datenerhebung nutzen, das sowieso tagein tagaus durch Bremen fährt? „Bisher sind wir mit dem Auto oder dem Fahrrad herumgefahren“, erinnert sich Lange. Doch das sei vergleichsweise aufwändig gewesen und habe daher nur sehr punktuell stattfinden können. Um ein umfassendes Bild zu erreichen, kam die Idee mit der Tram gerade recht.
Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) zeigte sich offen und stellte die Bahn mit der Nummer 3117 zur Verfügung. Im November 2021 fuhr Kezia Lange zum BSAG-Betriebshof in der Neustadt und montierte das Messgerät auf dem Dach – gut geschützt in einer wasserfesten Metallkiste und nicht zu nah am Stromabnehmer, denn der produziert ziemlich viel Dreck. Und die Fenster der Kiste müssen klar bleiben, damit die Messungen funktionieren.
Alle zehn Sekunden eine Messung
Und wie läuft so eine Messung nun? Die Straßenbahn fährt normal im Linienverkehr durch die Stadt. Die Strecke wechselt willkürlich, denn die Bahn wird generell auf allen Linien eingesetzt. Das ist ganz in Langes Sinne. Denn sie möchte ja Daten aus dem gesamten Stadtgebiet haben. Alle zehn Sekunden misst das Gerät das Sonnenlicht, das durch die Fenster hineinscheint.
„Diese Messungen werden über einen drehbaren Spiegel mit dem integrierten Messcomputer angefahren. Durch eine Sammellinse wird das Sonnenlicht in ein Lichtleiterbündel eingekoppelt und schließlich in ein Spektrometer geführt“, erklärt Lange. Ein Spektrometer ist vielleicht noch aus dem Physik-Unterricht in der Schule bekannt: Es ist ein Gerät, dass das Licht in seine spektralen Bestandteile separiert, also die einzelnen Farbanteile voneinander trennt. Die aufgezeichneten Spektren werden nachts per Mobilfunknetz automatisch auf den Computer in der Uni übermittelt.
Da das NO2 in der Atmosphäre einen bestimmten Teil des Sonnenlichts absorbiert, hinterlässt es eine Art Fingerabdruck im Spektrum. „Den können wir dann am Computer analysieren und so bestimmen, wie viel NO2 in der jeweiligen Messung vorhanden ist“, erläutert die Physikerin. Das Ergebnis wird dann mit den GPS-Daten verknüpft, die ebenfalls erfasst wurden, um die Messungen einem Ort in Bremen zuordnen zu können. „So bekommen wir ein sehr engmaschiges Bild über das Stadtgebiet“.
Bremer Westen und Gebiet um Hastedter Kraftwerk besonders belastet
Und wo in Bremen ist nun besonders viel NO2 in der Luft? „Im Bremer Westen wo viele große Emittenten wie das Stahlwerk, mehrere Kraftwerke und eine Müllverbrennungsanlage zu finden sind aber auch rund um das Kraftwerk in Hastedt“, berichtet Lange. Dass diese Industriestandorte schädliche Gase in die Atmosphäre abgeben, habe sie nicht wirklich überrascht. Dass allerdings das Kraftwerk in Hastedt als einzelner Verursacher im Stadtbild deutlich zu sehen sei, habe sie nicht erwartet. Weitere Erkenntnisse: Die NO2 Belastung ist im Winter höher als im Sommer – vor allem, wenn wenig oder gar kein Wind weht. Und Tage mit sehr viel Regen bleiben ein Mysterium. „Bei starken Regenfällen sind die Messungen des Geräts quasi unbrauchbar und ich muss die Daten leider wegschmeißen“, berichtet die Physikerin.
Seit Mitte Juli laufen die Messungen wieder, zuvor hatte es eine mehrmonatige Zwangspause wegen eines technischen Defekts gegeben. Lange hofft, dass sie und ihre Kolleg:innen künftig noch mehr ins Detail gehen können. Obwohl die Forschung noch lange nicht am Ende ist, fällt ihr Zwischenfazit zur Bremer Luftqualität gar nicht mal so schlecht aus: „Im Vergleich zu anderen Regionen ist Bremen eine ziemlich saubere Stadt.“ Im Ruhrgebiet sei die Belastung beispielsweise viel höher. Global betrachtet sehe es vor allem in China böse aus.
Kezia Lange ist bewusst, dass ihre Forschung einen wichtigen Beitrag zu einem gesünderen und nachhaltigeren Leben in der Stadt leistet. Eine hohe NO2-Belastung führe letztlich zu gesundheitsgefährlichem Ozon und Smog. „Deswegen ist es so wichtig, zu wissen, wie die räumliche Verteilung der Belastung ist“, sagt Lange. Sie kann sich vorstellen, dass eines Tages ihre Daten mit den Eigenangaben der Kraftwerks- beziehungsweise Stahlwerksbetreiber verglichen werden – und somit ein Kontrollinstrument vorliege. Außerdem werden die Daten zur Validation von Satellitenmessungen von NO2 genutzt.
Auch wenn sie ihre Promotion kürzlich abgeschlossen hat, wird Kezia Lange das Projekt weiter betreuen. Ihre wissenschaftliche Zukunft liegt zudem in Südostasien. „Ich werde hier am Institut künftig eine der am meisten belasteten Ecken der Welt analysieren: die südkoreanischen Großstadt Seoul“, sagt sie. Schon der Einstieg ins neue Forschungsgebiet habe sie überrascht: Angeblich ist die Schadstoffbelastung in Seoul vormittags um 11 Uhr am schlimmsten. „Das mag ich kaum glauben. Sind dann noch so viele Leute mit ihren Autos unterwegs oder wird dann besonders viel geheizt?“ Fragen, die sie innerhalb der kommenden Jahre sicherlich beantworten kann.