![Ein Mund aus dem eine Sprechblase mit dem Worten bla bla kommt.](/img/u/AdobeStock_1100069181.jpeg)
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Verantwortung und Verantwortungslosigkeit der Social-Media-Plattformen
Kommunikationswissenschaftler Christian Katzenbach über neue Bedrohungen für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Mitten im Wahlkampf 2025 zeigt sich: Tech-Konzerne wie Meta und X verweigern Verantwortung für Misinformation und Hassrede. Welche Konsequenzen hat das für die Demokratie, und wie kann Europa gegensteuern? Professor Christian Katzenbach ordnet ein.
Wie hat sich das Verhalten von Social-Media-Plattformen in den vergangenen Jahren in Bezug auf Desinformation und Hassrede verändert?
Die US-Tech-Konzerne und Betreiber der großen Social-Media-Plattformen haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Regeln und Anstrengungen zur Bekämpfung von Desinformation ausgebaut. Dies geschah jedoch nur zögerlich und wenig konsequent. Unter hohem öffentlichem und regulatorischem Druck haben Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter und YouTube Ressourcen und Regeln entwickelt, um gesellschaftlichen Herausforderungen wie Desinformation im Kontext von Brexit und der Trump-Wahl 2016 oder Hassrede in der Migrationsdebatte seit 2015 zu begegnen. Unsere Forschung zeigt deutlich, dass diese Entwicklungen oft durch politische Ereignisse und spezifische Anlässe, wie etwa die Löschung des Vietnamkriegsfotos durch Facebook 2016, angestoßen wurden. Nun beobachten wir einen massiven Rollback: Elon Musk hat 2022 Twitter gekauft, um den Dienst wie er sagt „zu befreien“ und keinerlei Eingreife mehr vorzunehmen, auch nicht gegen Hassrede und Misinformation. Seit Trump nun wieder US-Präsident ist, schlägt Meta-CEO Mark Zuckerberg den gleichen Weg ein und spricht davon, endlich die „Zensur“ auf Facebook und Instagram zu beenden.
Warum ist der Begriff „Zensur“ in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht falsch?
Dass Elon Musk und Mark Zuckerberg Moderationsentscheidungen als „Zensur“ bezeichnen hat einen politischen Hintergrund. Es ist aus wissenschaftlicher Perspektive völlig unhaltbar. Sie positionieren sich damit klar auf der Seite von Trump und rechten Gruppierungen, die das Vorgehen der Plattformen gegen Hass und Misinformation als Zensur bezeichnen. Dabei gibt es weder substantielle Befunde, dass Moderationsentscheidungen oder Fakten-Checks systematisch linke Akteure und Themen bevorzugen, noch ist es sinnvoll, in diesem Zusammenhang von Zensur zu sprechen. Moderation dient der Sicherung der Integrität der Plattformen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt , nicht der Einschränkung legitimer Meinungen.
![Christian Katzenbach sitzt auf einem Sofa](/img/f/Christian_Katzenbach_4x3_7_1.jpg)
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Welche Hintergründe sehen Sie für die aktuelle Entwicklung von Plattformen wie Meta und X?
Bei der Annäherung von Mark Zuckerberg an die neue Trump-Regierung scheint es nicht allein um innenpolitische Faktoren zu gehen. Die Tech-Konzerne könnten die Gelegenheit nutzen, den globalen Trend zu Verantwortung und Rechenschaftspflichten zurückzudrehen. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, keine Verantwortung und Haftung für die massenhaften, teilweise auch automatisiert erstellten und verbreiteten Inhalte zu übernehmen. Diese Verantwortungslosigkeit hat Methode.
Welche Konsequenzen könnte die neue Haltung der Tech-Konzerne für die demokratische Gesellschaft haben?
Wir stehen vor einer grundlegenden Konfrontation: Auf der einen Seite versucht die EU, große Technologie-Konzerne zur Übernahme notwendiger Verantwortung zu verpflichten. Auf der anderen Seite stehen CEOs wie Musk und Zuckerberg, die gemeinsam mit der Trump-Regierung ihre Unternehmen frei von Verantwortung walten lassen wollen. Ein Sieg dieser neuen US-Allianz wäre ohne Frage ein Verlust und ein Rückschritt für die demokratische Gesellschaft. Plattformen sind zu tief in unsere Strukturen integriert, um sie den ökonomischen und politischen Interessen einzelner „Tech Bros“ zu überlassen. Wir brauchen Plattformen, die Verantwortung übernehmen.
Zur Person
Prof. Dr. Christian Katzenbach untersucht, wie fundamental digitale Plattformen und neue Infrastrukturen, Algorithmen, „Künstliche Intelligenz“ (KI) und Daten derzeit Kommunikation, Öffentlichkeit und Gesellschaft reorganisieren. Er ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Mediengovernance und Plattform-Ökonomie am ZeMKI, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Plattform Governance; Künstliche Intelligenz; Diskurs der Digitalen Gesellschaft; Forschungsdaten; Open-Access-Finanzierung; Medien- und Internet-Regulierung. Er leitet das Lab „Plattform-Governance, Medien und Technologie“.